Selig die Armen im Geist, denn ihrer ist das Himmelreich
In diesem Sommersemester 2017 möchte ich Euch ins Hl. Land bzw. auf einen Berg führen, auf dem Jesus den Jüngern und dem ganzen Volk die Seligpreisungen auslegte. Vor einer Studienreise im September wollen wir uns momentan nur im geistlichen Nachdenken dorthin begeben, um zusammen mit Jesus auf dem Berg der Seligpreisungen zu verweilen. Wir werden über das ganze Semester auf diesem Berg bleiben und dabei alle 8 Seligpreisungen betrachten.
Immer wieder treffen wir im Matthäusevangelium auf das Motiv des Berges im Zusammenhang mit wichtigen Ereignissen um Jesus: Das Widerstehen Jesu gegen den Satan (Mt 4,7), die Verklärung (Mt 17,2), das Ringen und Beten auf dem Ölberg (Mt 26,30f), die Kreuzigung auf Golgota (Mt 27,31), der Auftrag des Auferstandenen auf einem Berg (Mt 28,16) und nicht zuletzt der Berg der Seligpreisungen (Mt 5,1). Bevor Jesus die Seligpreisungen verkündet, steigt er wie Mose in Ex 19 auf einen Berg, setzt sich wie ein griechischer Lehrer und belehrt die Jünger und das Volk. Er wird zum Gesetzgeber des Neuen Bundes.
Ein Berg ist ein Ort, an dem der Mensch mit Gott in Berührung kommt, wo sich das Himmlische und das Irdischen treffen und wo Gott sich offenbart; Orte solcher Gottes Begegnung findet man bei Abraham: (vgl. Gen 22,2-14); Mose: (Ex 3,1-22); Elija: (1 Kön 19,1-13); Salomo: (1 Kön 3,2-15; 1 Kön 9,1-9). Wenn wir uns also Jesus und diese alttestamentlichen Personen vor Augen stellen, dann erkennen wir das Streben und das Suchen jener, um Gott zu begegnen. Er, der Allmächtige, wird sich nur dann offenbaren, wenn wir für uns auch „einen heiligen Berg“ haben; ein Ort, wo wir mit Gott allein sind (Mt 6,6). Wir alle müssen auf unseren eigenen Berg steigen, damit wir einen Überblick bekommen können. Du und ich, wir brauchen unbedingt einen Ort, um in Abgründe des eigenen „Ich“ zu schauen und die Landschaften deines und meines Lebens zu betrachten. Nur aus der Höhe schauend werden wir erkennen, welche Dinge für dich und für mich wichtig sind. Wo setze ich meine Prioritäten? Worauf baue ich?
Dir und mir muss aber bewusst sein, dass das Aufsteigen auf den Berg immer mühsam ist, oft sehr steinig, rutschig und steil. Wir dürfen nicht verzagen, wenn wir auf dem halben Weg zum Ziel am Berghang abrutschen, sondern aufstehen und von Neuem aufsteigen – dies ist der Mühen wert. Der hl. Gregor von Nyssa sagt uns (1. Hom. 1): „Wer […] ist wohl imstande, in der Gefolgschaft des Wortes Gottes mit diesem von der Erde, hinweg aus dem Horizont beschränkter, niedriger Anschauungen, emporzusteigen auf den geistigen Berg erhabenster Betrachtung? Dieser Berg ist jedem Schatten entrückt. […] Es sind alle von Gott seliggepriesen, welche mit ihm emporsteigen.“
„Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich“. Wer sind die Armen im Geist?
Hier ist keine landläufige „intellektuelle Armut“ gemeint, sondern eine Armut an göttlichem Geist; es sind diejenigen, die wissen, dass menschliche Einsicht unzureichend ist, die sich nach dem Geist Gottes sehnen und die, wie uns der hl. Johannes Chrisostomos, Gregor von Nyssa und Augustinus sagen, demütig sind vor Gott.
„Wenn wir die Demut leichter und sicherer erlangen, dann werden wir auch die Seligpreisung leichter erwerben. Wie erfahrene Ärzte, die nach Ursachen jeder Krankheit im Körper suchen, um diese zu entfernen, damit die Krankheit leichter zu bewältigen ist, so wollen auch wir die Hochmütigen auf ihre nichtige Aufgeblasenheit […] hinweisen, um ihnen den Weg zur Demut [zu] erleichtern.“ (Gregor v. Nyssa, 1 Hom. 4). Für Ambrosius v. Mailand ist die erste Seligpreisung (Μακάριοι οἱ πτωχοὶ τῷ πνεύματι…) die Mutter aller Tugenden. Makarismen als solche kommen in der Bibel sehr oft vor. In den Psalmen, in der Weisheitsliteratur auch in den Evangelien findet man immer wieder die sogenannte Heilszusagung.
Bezüglich der weiteren Worte in der ersten Seligpreisung, lohnt es sich, das hebräische Wörterbuch Gesenius aufschlagen, um dort das Gegenwort zum griechischen ptwcόV (arm) zu finden. Es ist das hebräische Wort עני (von der Wurzel hn[). Neben „demütig zu sein“, „niedrige Stellung einnehmen“, „ein Ziel vor sich haben“, „das Anstimmen eines Gesangs“ bedeutet dieses Wort als erstes „eine Antwort geben“. Einer steht da und wird aufgefordert zu antworten. Und sobald er erkennt, dass es Gott ist, der ihn anruft, beugt er sich vor Ihm nieder als ein Armer, der nichts ist und nichts hat, um alles von IHM zu empfangen.
Aus dieser Bedeutung heraus ist es leichter das Verhalten und die innere Haltung des modernen Menschen zu verstehen. Die technischen Errungenschaften, das ständige Mehr-haben-Wollen geben Gott keinen Raum für sein Wirken. Das Verhältnis zwischen Mensch und Gott, das in der Bedeutung des hebräischen Wortes erkennbar wird, ist ruiniert. Das Vertrauen auf den eigenen Reichtum, auf Erfolg und Ansehen, endet in geistlichem Hochmut. Und dieser Hochmut hindert den Menschen sich von Gott beschenken zu lassen. Viele heutige Menschen antworten falsch oder gar nicht auf das „Anstimmen“ Gottes und somit ergibt sich kein harmonischer Gesang. Nur der Mensch, der mit leeren Händen vor Gott hintritt, kann alles von IHM empfangen. Hände, die sich öffnen und schenken können, können auch gefüllt werden mit Gottes Güte.
Das ist der erste Weg, die erste Seligpreisung, über die wir heute nachdenken, um glücklich und innerlich zufrieden zu werden. – So wollen wir unseren persönlichen Berg besteigen, um unter Verzicht auf eigene Verdienste Gott mit leeren Händen und in Demut zu begegnen. Durch die Verinnerlichung der Worte „Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich“ haben wir eine Chance, die richtige Einstellung zum Leben zu gewinnen, die in der Liebe zu einander und im gegenseitigen Verzeihen gründet.
Hast du, habe ich so eine Einstellung??? Lasst uns am heutigen Abend darüber nachdenken, was uns durch das Gehörte klar wurde! Oder auch über die Paulus’ Worte: „Wir sind arm und machen doch viele reich; wir haben nichts und haben doch alles“ (2 Kor 6,10). Was bedeutet das für mich? Für meinen Weg zum Priestertum? Für meine Pläne? Für meine Träume? Amen.