Selig die Hungernden und Dürstenden nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden

Hunger und Durst! Das sind zwei Worte, die uns jeden Tag begegnen, denn um leben zu können brauchen wir Nahrung und Wasser. Und für viele Menschen ist es nicht leicht, sich genügend davon zu beschaffen. Wir selbst sind, Gott sei Dank, in der glücklichen Lage, dass wir niemals Hunger und Durst über mehrere Tage hinweg erleiden müssen; wir sind mit allem gut versorgt.

Stellen wir uns einmal einen Menschen vor, der sich in einer Wüste befindet, ohne Nahrung und ohne Wasser. Nur brennende Sonne, die ihn austrocknet, nur heißer Sand, in dem kein rettender Weg zu finden ist. Er bewegt sich zwar zufällig in eine Richtung, weiß aber nicht, ob er dort seine Rettung findet. Wo ist die nächste Wasserquelle, die nächste Oase? In dieser Notsituation, verzweifelt, fast verdurstet und verhungert, kann er auch nicht mehr richtig unterscheiden zwischen einer wirklichen Oase und einer Fata Morgana. Was ist Täuschung und was ist Wirklichkeit? Und wehe dem Menschen, wenn er in ein paar Meter von einer wirklichen lebensspendenden Wasserquelle stirbt, weil er meint, es sei nur eine Täuschung. Essen und Trinken sind alltägliche Begriffe; sie sind Teil unseres Lebens. Ohne Wasser und Nahrung sterben wir – den leiblichen Tod.

Warum sagt Jesus in der vierten Seligpreisung nicht etwa: Selig diejenigen, die sich um Gerechtigkeit bemühen oder sich nach Gerechtigkeit sehnen, sondern: selig die Hungernden und Dürstenden nach der Gerechtigkeit. Warum benutzt er diese beiden Worte: Hunger und Durst.

In Palästina gab es immer wieder trockene und unfruchtbare Jahre; und so gab es auch Hungersnöte (vgl. Rut 1,1; 2 Sam 21,1; 1 Kön 18,2; Apg 11,28). Den Juden wie auch der christlichen Gemeinde war dies keineswegs unbekannt. An diese Erfahrung knüpft Jesus an und projiziert die Mangel-Erfahrungen, die durchlebte Not der Menschen auf eine höhere, die geistliche Ebene. Das Verlangen und die Suche nach Nahrung und Flüssigkeit wird zu einem Sinnbild für das Sehnen und die Suche nach Gerechtigkeit. Unser täglicher Hunger und Durst soll uns allezeit daran erinnern, dass wir nach Gerechtigkeit streben sollen. Tun wir das nicht, dann sind wir dem unglücklichen Menschen in der Wüste ähnlich, der sich nicht retten kann; wir sterben dann den geistlichen Tod.

Gerechtigkeit ist eine Tugend, die wir uns Tag für Tag aneignen können. Selig die Hungernden und Dürstenden nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden. Hier zeigt sich eine Parallele. Hunger und Durst empfinden wir jeden Tag und es ist unmöglich, diese für mehrere Tage zu stillen. Ähnlich ist es mit der Gerechtigkeit. Unser Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit sollte in uns ein ständiges Verlangen sein, von der Geburt bis zum Tod. In unserem unvollkommenen, irdischen Leben werden wir nie allumfassende Gerechtigkeit kennenlernen. Dieser Hunger und dieser Durst werden niemals ganz verschwinden, solange, bis sie eines Tages von Gott ganz und gar gestillt werden. (Passivum divinum in Mt 5,6 weist darauf hin).

Um gerecht handeln zu können, brauchen wir einen inneren Antrieb. Diesen können wir in der Person Jesu finden. Gleich am Anfang in Mt 3,13-17 erkennen wir, dass unsere Gerechtigkeit dem Willen Gottes entsprechen muss. Johannes lässt zu, dass Jesus von ihm getauft wird, nur so erfüllen die beiden die Gerechtigkeit Gottes, indem sie seinen Willen tun. Und später lesen wir bei Matthäus, es soll uns zuerst um das Reich Gottes und um seine Gerechtigkeit gehen, dann wird uns alles andere dazugegeben (vgl. Mt 6,33). Was ist die Gerechtigkeit Gottes, der Wille Gottes, für uns?

Wir möchten uns oft beschweren, dass das, was wir uns wünschen nicht in Erfüllung geht, vergessen aber dabei, dass Gott es mit uns gut meint und viel weiter blickt als wir. Erst im Nachhinein verstehen wir oft, dass es gut war, wie es alles ausgegangen ist.

In der Bibel werden die Menschen erwähnt, die nicht nur gerecht waren vor Gott, sondern die gleichzeitig als fromm, vollkommen, rechtschaffen und korrekt gelten. Es sind diejenigen, die stets versuchten den Willen Gottes zu erfüllen, z. B. Maria und Joseph, Zacharias und Elisabeth, Joachim und Anna und viele andere. Die Gerechtigkeit Gottes zu suchen, heißt in einer festen Beziehung zu Gott, zu sich selbst, zu den Mitmenschen und zur Natur zu leben. Diese Beziehungen müssen von Liebe und Barmherzigkeit geprägt sein. Sehr treffend sagt der hl. Ambrosius (off. min. 115): „Gerechtigkeit gibt jedem das Seine, maßt sich nichts Fremdes an, setzt den eigenen Vorteil zurück, wo es gilt, das Wohl des Ganzen zu wahren.“ Sehr oft erkennt man, dass dort, wo Gerechtigkeit fehlt, auch kein Friede ist (vgl. Jes 32,17). Nicht umsonst betet der Psalmist in Ps 85,11-12 mit den Worten: „Es begegnen einander Huld und Treue; Gerechtigkeit und Friede küssen sich. Treue sprosst aus der Erde hervor; Gerechtigkeit blickt vom Himmel hernieder.“ Schon damals, insbesondere aber in der heutigen Welt, scheinen diese Worte utopisch zu sein. Doch sind die Psalmen voll solcher Verse. Sie weisen uns an, gerechtes Handeln niemals aufzugeben. Jeder von uns erwartet natürlich ein gerechtes und ehrliches Verhalten der anderen. Wenn wir unserer Ansicht nach ungerecht behandelt werden, löst dies bei uns Frust und Ärger, oft sogar Aggressionen aus. Die menschliche Gerechtigkeit ist oft nicht eindeutig, sie ist eben unvollkommen. Ohne die Führung Gottes kann sie auch in Rache, Hass oder Böswilligkeit enden. Letztendlich ist jede wahre Gerechtigkeit eine Gabe Gottes.

In der heutigen Welt gibt es viele Ungerechtigkeiten, die zum Himmel schreien: Kriege, Ausbeutung der Natur, ungerechte Verteilung der Güter, Ausnutzung der Armen, Unterdrückung, ungerechte Arbeitsverhältnisse, geldgesteuerte Urteile, Korruption und vieles andere.

Wo sind Hunger und Durst nach wahrer Gerechtigkeit? Warum scheinen die Menschen so gar kein Verlangen danach zu haben? Vielleicht darum, weil jeder sich selbst in den Vordergrund stellt, weil jeder sich selbst gerecht werden will und nur auf sein persönliches Wohl und Gut achtet. Gottes Gerechtigkeit dagegen ist Gerechtigkeit für alle und auf ewig. Fragen wir uns heute, ob wir den Hunger und den Durst nach der Gerechtigkeit Gottes verspüren. Prüfen wir unser Gewissen, ob wir auch gerecht zu einander sind.

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