Es bleiben uns noch drei Sprossen unserer geistlichen Leiter, um an deren Spitze zu gelangen. Die Zeit vergeht sehr schnell, bald ist auch das Semester zu Ende. Einige von euch hatten bereits, oder werden noch Prüfungen ablegen müssen. Deutschlehrer oder Professoren prüfen, ob wir uns den Lehrstoff gut angeeignet haben. Ähnlich ist es im geistlichen Leben, da wir in diesem Bereich eines Tages die größte Prüfung ablegen werden; nicht etwa vor den Menschen, sondern vor Gott. Schon jetzt sollten wir uns selber prüfen, ob wir uns in diesem Semester bemüht haben, geistlich zu reifen; ob wir versucht haben, die Seligpreisungen in unserem Leben umzusetzen.
Heute denken wir nach über die Worte Jesu: „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“. Zwei wichtige Begriffe prägen diesen Satz: Ein Herz, das rein ist – und das „Gott Schauen“. Unser Herz ist nicht nur ein leibliches Organ, ein Muskel, der den Blutkreislauf im Körper befördert, sondern unser Herz ist auch Sitz der Lebenskraft, Ort unserer Empfindungen, Gefühle, Regungen und Affekte; es ist auch das Zentrum unseres geistig-seelischen Lebens.
Warum gibt es, gemäß Jesu Worte, einen eindeutigen Zusammenhang, eine feste Verbindung zwischen unserem Herzen und der Möglichkeit Gott zu schauen?
Warum betonen Propheten immer wieder die Wichtigkeit, ein reines Herz, ein Herz von Fleisch zu haben (Ez 11,19f; das Motiv von Herzen vgl. Jer 31,11; Jes 66,13; 40,1f)? Warum betet David im Ps 50,12: „Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist!“ Warum schreibt der hl. Apostel Paulus, dass wir unsere Herzen prüfen sollen (1 Thess 2,4)? Weil sie auch von Gott erforscht werden (Röm 8,27)! Und schließlich, warum sagt Jesus unter anderem: „[…] Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund“ (Lk 6,45).
Warum ist unser Herz so wichtig?
Manchmal können wir in unserem Innern, mit unserem Herzen besonders gut Gottes Nähe erspüren. Dieses Spüren ist kann nicht mit Worten beschrieben werden, aber wir wissen, Gott ist da. Er ist da, wenn es uns gut geht, wenn wir fröhlich sind – und dann erfüllt uns Dankbarkeit Gott gegenüber für all seinen Segen, für all seine Güte. Wenn es uns aber schlecht geht, sollten wir uns auch gewiss sein, dass er auch dann bei uns ist, dass er mit uns mitleidet. Darum ist es sehr wichtig, dass wir unser Herz rein halten von bösen und unreinen Gedanken, von falschen Zeugenaussagen und Verleumdungen (vgl. Mt 15,19f), von unguten Bildern und Nachrichten, mit denen wir tagtäglich, vor allem in den Medien bzw. im Internet konfrontiert werden. Unser Herz ist beunruhigt und wir kommen schwer zu Ruhe und Ausgewogenheit. Oft sind wir gestresst, nervös und verärgert.
Warum? Weil unser Herz verhärtet ist, weil es verschlossen ist für Gott und auch für liebende Zuneigung zu unseren Mitmenschen, auch manchmal auch für uns selbst. Wo finden wir die Heilmittel, um unser Herz zu „reinigen“?
In der intimsten Berührung mit Gott, in den Sakramenten und im inneren Gebet finden wir diese „Reinigungsmittel“. Nur dadurch kommen wir zu Hesychia (ἡσυχία) zu innerer Ruhe und Gelassenheit. Darum pflegten die Mönchsväter das Jesusgebet, auch Herzensgebet genannt, das immerwährende Gebet (vgl. 1 Thess 5,17), in dem das Herz wie durch Feuer gereinigt wird; ein Gebet, in dem die Worte „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner“ im Takt des Herzschlages gesprochen wird; ein Gebet, in dem unsere Seele zu Gott emporsteigt.
Die Mönchsväter, Makarius, Antonius, Evagrius, Gregor Palamas haben mit ihrem Leben gezeigt, wie wichtig es ist, das Herz mit dem Gebet in Einklang zu bringen. Heilige Wüstenväter wiesen oft auf einen Zusammenhang zwischen unserem Atem und unserem Gebet hin: Denn wie es unmöglich sei zu leben, ohne zu atmen, so sei es unmöglich, ohne demütiges ständiges Jesusgebet ein inneres, spirituelles Leben zu erlernen und einzuüben. Sie geben uns ein gutes Beispiel für das Ausharren im Gebet.
Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Diejenigen also, deren Herz rein und lauter ist, werden Gott schauen. Dies ist für uns eine Verheißung, die uns Hoffnung gibt. Diese Verheißung soll uns auch Mut schenken, ungeachtet aller Schwierigkeiten, aller Enttäuschungen, allen geistlichen Ringens und Bangens nie aufzugeben, denn wir werden Gott schauen können, von Angesicht zu Angesicht (vgl. 1 Kor 13,12), denn „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9). In beiden Fällen leitet der Apostel Paulus diese Sehnsucht aus der gegenseitigen Liebe ab. Liebe zu Gott und Sehnsucht nach ihm, ein reines Herz, immerwährendes Gebet, Sakramente und Erleuchtung der Vernunft – das sind Voraussetzungen, um ein wenig die Gottes Nähe zu erspüren, vielleicht sogar ein Stück die Taborerfahrung der Apostel nachzuempfinden, sich ein Stück „vergöttlichen“ zu lassen. Θεωσις – Vergöttlichung sei das Ziel unseres geistlichen Lebens, Teilhabe an Gott und am göttlichen Leben. Dies war auch ein Leitgedanke bei den Kirchenvätern: Gott istMensch geworden, damitderMensch vergöttlicht werde. Diese Sehnsucht nach Gott beschreibt der hl. Augustinus mit folgenden Worten: „Herr, du hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz,bis es ruht in dir, o Gott“ (conf. I 1,1).