Jeder von uns hat mehr oder weniger Erfahrung darin, was es heißt Gast zu sein, oder selbst Gäste zu empfangen. Jeder von uns muss ja auch lernen, Gastfreundschaft auszuüben. Was ist überhaupt Gastfreundschaft? Worin besteht sie? Bedeutet Gastfreundschaft dem Fremden nur das Nötigste anzubieten oder beabsichtigt sie mehr. In der Bibel gibt es viele Bespiele, wie man sich Gästen gegenüber verhalten soll. Eines davon ist die Erzählung von Abraham in Gen 18,1-15, der drei Männer zu sich einlädt, sie bewirtet und schließlich für seine Gastfreundschaft belohnt wird; er bekommt die Sohnesverheißung.
Abraham saß am Zelteingang und erholte sich von der Tagesarbeit; müde und erschöpft von der Mittagshitze. Als er aber seine Augen erhoben hat, sah er drei Männer auf ihn zukommen. Ohne lange nachzudenken, freut er sich, dass jemand bei ihm einkehren will. Er ist ein alter Mann, aber die Freude gibt ihm neue Kraft, er läuft den Männern entgegen, wirft sich vor ihnen nieder und spricht zu ihnen: „Mein Herr, wenn ich dein Wohlwollen gefunden habe, geh doch an deinem Knecht nicht vorbei!“ (Gen 18,3)
Das Sehen, das Laufen, das sich Niederwerfen und die Anrede – sind Gesten Abrahams, mit denen er den Fremden seine Ergebenheit zeigt und auch, dass er sich geehrt fühlt, wenn diese seine Gäste sein wollen. Voraussetzung für diese Gesten ist die Liebe zu anderen, was auch das griechische Wort für Gastfreundschaft φιλοξενία (Liebe [zum] Fremden) zum Ausdruck bringt. In erster Linie heißt es, denjenigen, den man nicht kennt, trotzdem willkommen zu heißen und ihn zu beherbergen. Das war hier der Fall. Abraham hat durch seine Gastfreundschaft, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt – wie es dann bei Hebr 13,2 heißt. Zweitens kann es bedeuten, denjenigen, den man zwar kennt, aber nicht besonders schätzt, trotzdem aufzunehmen und respektvoll zu behandeln und nicht nur über das Wetter zu sprechen, sondern auch Ansätze zu gegenseitiger Annäherung und gegenseitigem Verständnis zu finden. Diese Fähigkeit sich anzueignen verlangt natürlich einige Anstrengungen und Bemühungen. Dazu dürfen wir uns die Worte Jesu zum Anlass nehmen. „Denn ich war […] fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35). […] „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40).
Jesus macht die Gastfreundschaft zum allgemeinen Maßstab für jeden, der in seiner Nachfolge stehen möchte. Aus diesem Grund meint der hl. Benedikt von Nursia, dass alle Gäste bei ihrer Ankunft wie Christus empfangen werden sollten.
Darüber hinaus wird aus einem indischen Nationalepos folgendes überliefert: „Selbst Feinden, die als Gäste zu uns kommen, muss die schuldige Gastfreundschaft erwiesen werden; der Baum beschattet mit seinen Blättern auch denjenigen, der ihn fällt.“ In diesem Spruch wird gezeigt, dass es durchaus möglich ist, einen Feind mild zu stimmen, obwohl das eigene Leben auf die Waage gestellt wird. Gastfreundschaft, also Liebe im Sinne von Achtung zum ξένος (Fremden, der z.B. in Sparta als Feind galt) bietet immer eine Chance, um friedliche Gemeinschaft und Versöhnung zu stiften. Im Baumschatten ergibt sich eine gute Möglichkeit einander näher zu kommen, Verständnis zu gewinnen oder auch eine Freundschaft zu schließen. Abraham bietet den drei Engeln das Beste an, was ihm zur Verfügung steht. Er wählt den Baumschatten als Platz für die Bewirtung, weil es im Zelt viel zu warm ist. Er empfiehlt den Gästen, sie mögen im Wasser ihre Füße kühlen und waschen, einen Bissen Brot essen, sich ausruhen und nach der Stärkung weiter ziehen.
Abraham ist schlau. Nachdem er sicher war, dass die drei Männer da bleiben werden, startet er eine Festmahl-Zubereitung, die mit Arbeits-und Zeitaufwand verbunden ist. Ein Brot aus drei Sea feinem Mehl – das ergibt etwa 30 Liter gebackenen Brotfladen; ein zartes Kalb, zerteilt in Stücke und noch Milch und Butter dazu. Eine enorme Menge von Fleisch und Brot zeigen die Großzügigkeit des Gastgebers und vor allem seine Liebe und Freude daran, jemandem zu dienen. Abraham selbst isst nicht mit, sondern steht als Kellner jederzeit bereit, die Wünsche der Gäste zu erfüllen.
Am Ende des Besuches bekommt das hochbetagte Paar eine Verheißung über die Geburt des Sohnes, eines Erben auf den sie schon so lange warten. Des Weiteren tritt Abraham als Vermittler zwischen dem Herrn und den Gerechten in Sodom auf und als deren Fürsprecher (vgl. Gen 18,16-33). Vielleicht hätte er sich das nicht getraut, wenn die Männer seine Gastfreundschaft nicht so freundlich angenommen hätten.
Wie können wir nun, das Verständnis von Abrahams Gastfreundschaft in unserem Leben nutzen? Als erstes müssen wir unsere Augen erheben, um andere wirklich wahrzunehmen. Sehr oft sind wir mitten unter den Menschen, auch im Collegium, sehen sie aber nicht, weil wir nur auf uns selbst konzentriert sind. Der Herr erschien Abraham und er reagiert blitzartig, er läuft ihm entgegen. Wir als berufene Apostel Christi müssen auch manchmal sehr schnell reagieren, um Situationen zu erkennen, bei denen wir die Menschen erreichen können. Und es wird uns nicht immer gelingen. Abraham wirft sich nieder vor dem Herrn und redet ihn als erster an: Adonai – mein Herr. Oft müssen wir in unserem Priesterleben uns gering schätzen und demütig sein; und ganz wichtig, wir müssen die Menschen beim Namen rufen. Daraus kann eine Vertrauensbasis für weitere Gespräche und gute Beziehungen entstehen.
Abraham lädt die drei Engel unter den Baum ein, also an einen Ort, wo die Gäste sich wohl fühlen und gestaltet ein üppiges Mahl für sie. Auch wir brauchen für uns einen Baum, in dessen Schatten Geborgenheit erfahren werden kann, in dessen Schatten es keine Angst mehr gibt, in dessen Schatten das Herz dem Herrn geöffnet werden kann.
Als Priester haben wir die besondere Aufgabe, für andere Menschen Orte zu schaffen, wo sie Gott näher kommen, wo sie auch die Liebe Gottes erfahren können. Denn die Voraussetzung für jegliche Gastfreundschaft ist die Liebe zu den anderen. Wenn man sie nicht hat, sind all unsere Arbeit, unsere Anstrengungen und Bemühungen umsonst. Wenn man keine Liebe hat, hat man auch keinen Anteil an Gott.