In der Heiligen Schrift Christus erkennen

In der heutigen Zeit werden wir immer wieder konfrontiert und manchmal in die Irre geführt durch unterschiedliche Nachrichten im Internet bzw. in den sozialen Netzwerken. Sehr oft sind das falsche Informationen, die so genannten fake news. Wenn wir aber merken, dass eine oder andere Information nicht stimmig ist, dann surfen wir im Internet und suchen nach Wahrheit. Ab und zu ist so ein Surfen einem Eichhörnchen ähnlich, das von einem Baumstamm auf den anderen springt, ohne sich lange aufzuhalten, bis es mal vom Springen müde wird. Der Mensch sucht also nach Wahrheit. Was ist Wahrheit? Diese Frage interessierte auch Pilatus im Johannesevangelium (Joh 18,38), deshalb fragt er Jesus: τί ἐστιν ἀλήθεια? Aus demselben Evangelium wissen wir, dass Jesus sagte: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Also, um zum Vater zu kommen bzw. in den Himmel zu gelangen, muss man Christus kennen. Hier fällt mir das bekannte Zitat des hl. Hieronymus ein: „Wer die Schrift nicht kennt, kennt Christus nicht“( Comm. In Is., Prol., in: PL 24,17).

Grundsätzlich ist es so, dass die Menschen heutzutage keine Zeit mehr finden, um etwas zu lesen, geschweige zum Lesen der Bibel. Grundsätzlich ist das so, dass die Menschen heutzutage keinen Willen mehr haben, sich an irgendwas und irgendwen zu binden, denn sie fühlen sich dann „verpflichtet“, und diese Pflichten, beschränken scheinbar ihre Freiheit. Seien wir ehrlich, auch wir empfinden ähnliches.

Ist es eine Last oder ein ehrenhaftes Privileg, die Heilige Schrift nicht etwa mit wissenschaftlichen Augen, sondern mit dem tiefen Glauben geistlich zu lesen und darüber zu meditieren? In so einer lectio divina ist es Gott selbst, der uns anspricht und die Begegnung mit ihm ermöglicht. Für uns, liebe Kollegiaten, ist es von größter Bedeutung die Bibel in die Hand zu nehmen, um aus ihr, wie es Hieronymus formulierte, Christus näher zu kennen.

Bei der Impuls-Vorbereitung ist mir überdeutlich aufgefallen, dass die Kirchenväter nicht müde werden, die Christen zu ermahnen und zu bitten, jeden Tag zu Hause aus der Heiligen Schrift zu lesen, aus der lebendigen Quelle, so nennen sie die Bibel, zu schöpfen. So z.B. schreibt Chrysostomos im 4. Jh. folgende Sätze, die auch im 21. Jh. nichts an Bedeutung und Wichtigkeit verloren haben:

„Ich ermahne und bitte euch unablässig, nicht nur hier in der Kirche auf das, was gesagt wird, aufzumerken, sondern auch zu Hause fleißig die Bibel zu lesen“ (Joh. Chryst., Homilie über Lazarus 3,1-2, in: A. Heilmann, Texte der Kirchenväter 4, München 1964, hier und im Folgenden 331ff.).

Darauf würdet Ihr, liebe Kollegiaten, sagen, wir haben viel zu tun, wir müssen in die Vorlesungen gehen, Seminararbeiten schreiben, Prüfungen bestehen, die deutsche Sprache lernen. Aber vielleicht lassen sich doch fünfzehn Minuten am Tag finden, um Gottes Wort zu lesen. Für Chrysostomos gibt es da keine Ausrede, indem er behauptet, wenn beispielsweise jemand zu ihm kommt und sagt: „Ich bin ein Advokat, ich bin Stadtrat, ich ein Handwerker, ich habe eine Frau und muss Kinder ernähren, ich stehe einem Hauswesen vor, ich bin ein Weltmann: Es ist nicht meine Aufgabe, die Schriften zu lesen; das sollen die tun, die sich von der  Welt zurückgezogen haben, die auf den Höhen der Berge wohnen, die immer ein einsames Leben führen!“ Des Weiteren, meine Lieben, geht der Erzbischof von Konstantinopel in die Offensive, (angeblich hatten solche Ausreden ihn fertig gemacht), indem er sagt: „Du behauptest, die Heilige Schrift zu lesen sei nicht deine Sache. […] das Gegenteil ist der Fall. Wir alle, die gleichsam auf hoher See hin und her geworfen werden und in tausendfacher Gefahr der Sünde schweben, brauchen immer den ständigen Trost und die Aufmunterung der Heiligen Schrift. Die Mönche sitzen fern von der Schlacht, darum werden sie auch selten verwundet. […] Du aber hast diese Heilsmittel nötig, weil du an der vordersten Front stehst. Einmal ärgert dich deine Frau, dann machen dir deine Kinder Sorge; es reizt dich dein Sklave zum Zorn, ein Feind stellt dir nach, ein Freund redet schlecht von dir, ein Nachbar schmäht dich, ein Mitbruder betrügt dich; oft kommt es auch vor, dass […] der Verlust eines Angehörigen dich in Trauer versetzt, das Glück dich übermütig oder das Unglück dich niedergeschlagen macht. […] Deshalb haben wir die Waffe der Heiligen Schrift nötig. Deshalb brauchen wir die göttliche Medizin, um Wunden zu heilen.“

Darüber hinaus zieht Origenes (†254) eine Parallele zwischen dem WORT Gottes, das wir in der Heiligen Schrift lesen, und dem Leib und dem Blut Christi, die wir in der Eucharistiefeier empfangen und zeigt, wie wichtig und unverzichtbar diese beiden Heilsquellen für die Christen sind.

Origenes schreibt: „Wir trinken das Blut Christi nicht nur beim sakramentalen Ritus, sondern auch, wenn wir seine Worte empfangen, in welchen das Leben besteht, wie er selbst sagte: ,Die Worte, die ich geredet habe, sind Geist und Leben’.[…] Wenn wir also seiner Apostel Worte lesen […], trinken wir Blut [Christi]“ (Orig., Geist und Feuer, hg. von H. U. v. Balthasar, Salzburg 21952, 370).

„Wenn man euch den Leib des Herrn reicht, so hütet ihr ihn mit aller Sorgfalt und Verehrung, damit kein bisschen davon auf die Erde falle, damit nichts von dem geweihten Geschenke verlorengehen. Wenn ihr aber so große Sorge aufwendet, seinen Leib zu bewahren, – und ihr wendet sie mir Recht auf – wie könnt ihr dann glauben, es sei eine geringere Schuld, das WORT Gottes zu vernachlässigen, als seinen Leib“(ebd., 371).

Liebe Kollegiaten! An diesem Abend soll jeder sich fragen, ob und wie wichtig die Heilige Schrift für ihn ist. Vielleicht muss man manches im Leben neu ordnen, neu strukturieren oder sogar auf einiges verzichten. Jeder, wenn er kein Funktionär in der Kirche, sondern wirklich ein guter Seelsorger werden will, muss die Bibel kennen. Erst dann besteht die Möglichkeit Christus, unseren Herrn und Heiland besser kennenzulernen und ihn den Menschen nahe zu bringen. Zu Betrachtung möchte ich Euch einige Texte des hl. Johannes Chrysostomos geben:

„[…] Geliebte, wir wollen [in allem, was ich euch sagte] festhalten und, wenn wir nach Hause gehen, uns einen doppelten Tisch vorsetzen, den Tisch der Speise und den, welcher von der Anhörung des Wortes Gottes kommt. Der Mann also soll das Gehörte erklären, und die Frau […] und die Kinder sollen es von ihm hören und nicht einmal die anderen Hausgenossen sollen dieser Anhörung beraubt sein. MACHE DEIN HAUS ZU EINER KIRCHE. Du bist ja auch verantwortlich für das Heil deiner Kinder und Hausgenossen. Wie Gott von uns für euch Rechenschaft fordert, so fordert er von jedem von euch für den Diener, für die Ehefrau und für die Kinder Rechenschaft. Nach solchen Gesprächen werden uns die süßesten Träume umfangen, die von allen anderen Phantasien frei sein werden. Denn, was die Seele am Tage zu betrachten pflegt, darüber träumt sie im Schlaf. […] Damit nun wir (Bischöfe, Priester) und ihr einen größeren Vorteil habt, wir von der Belehrung, ihr vom Zuhören, so lasst euch neben dem Tische für den Leib auch diesen geistlichen Tisch vorsetzen. Das wird euch zur Sicherheit und zum Schmuck werden.“

In der darauf folgenden siebten Homilie sagt der Erzbischof von Konstantinopel mit Nachdruck: „Reichlich habe ich gestern eure Liebe ermahnt, euch an das Gesagte zu erinnern und euch am Abend einen doppelten Tisch vorzusetzen, den Tisch der körperlichen Speise und noch dazu das Gastmahl der gehörten Worte.

Wie steht es nun? Habt ihr das getan? Und habt ihr euch wirklich diesen doppelten Tisch vorgesetzt?

Ich weiß, dass ihr es getan habt und dass ihr nicht bloß den einen, sondern auch den anderen Tisch genossen habt […] Für den einen haben die Hände der Köche die Speisen bereitet, aber für den geistlichen Tisch die Zungen der Propheten. Der eine Tisch bietet die Pflanzen, die von der Erde erzeugt sind, der andere aber die Frucht des Geistes. Die Speisen des einen Tisches drängen zur Verwesung, die des anderen Tisches zur Unverweslichkeit. Der eine Tisch hält das gegenwärtige Leben zusammen, der andere führt zum zukünftigen Leben“ (Joh. Chryst., Homilien über die Genesis oder das erste Buch Mosis, hg. u. übers. von Prinz Max, Herzog zu Sachsen, Bd. II., Paderborn 1914, hier 44f.). Amen.

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