Der bekannte deutsche Philosoph Robert Spaemann (†2018) hat in seinem Vortrag in Graz 1979 folgendes gesagt: „Mir scheint eine stärkere Gliederung der Ausbildung des Priesters in zwei Stadien, ein liberaleres und ein strengeres, notwendig zu sein. Auch zur liberaleren Phase gehört freilich schon eine Gemeinschaft, die vor allem eine Gebetsgemeinschaft ist.“[1] Des Weiteren stellt Spaemann ein Problem in der Priesterausbildung fest. Einerseits sei sie zu wenig liberal und andererseits zu liberal. Wenn zukünftige Priester fast ihr ganzes Studium im Seminar verbringen und von anderen Studenten getrennt sind, bestehe die Gefahr, dass sie sich von der modernen Welt isolieren. Andererseits bestehe auch die Gefahr, dass das Seminar selbst sich nicht genug von der Welt abhebt. Könnte ein zukünftiger Priester nicht einen großen Teil seines Studiums außerhalb des Seminars verbringen? Die zweite Hälfte seiner Ausbildung könnte er dann in einem Seminar verbringen, das viel strenger und fast klösterlich ist mit strikter Disziplin, die bereitwillig angenommen wird.
Liebe Kollegiaten! Diese Worte von Robert Spaemann, der mit dem Papst Benedikt XVI. befreundet war, motivierten mich, Euch heute Abend im Hinblick auf die bevorstehende Prüfungszeit und die Sommerferien einen Impuls zu geben. Natürlich müssen wir unsere Lebensform und Lebensart im Collegium Orientale berücksichtigen und dementsprechend handeln. Ich meine, wir können Euch nicht für einige Jahre in die Stadt schicken. Laut Spaemann seien zwei Stadien in der Priesterausbildung notwendig: ein strengeres und ein liberaleres, damit der Kandidat vergleichen und erkennen kann: Wer er ist, was er will und wo er steht?
Nachdem Ihr Euch seit April in der „strengen Phase“ der Ausbildung befindet, kommt ab dem 20. Juli eine „liberale“ Phase, auf die Ihr Euch freut, es kommen die Sommerferien. Die strenge Phase beinhaltet das Hausprogramm im Collegium, Disziplin, Verantwortung, Kontrolle, geistliche Impulse des Spirituals, Semestergespräche mit dem Rektor, Vorlesungen an der Uni, Sprachkurs mit Herrn Schmatz, Prüfungen und manches mehr. Mit der liberalen Phase verbinden wir Freizeit, Freiheit, Selbstverpflegung, Erholung, Reisen, Ferienjob und verschiedene andere Aktivitäten. Man könnte meinen, dass diese zwei Phasen nichts miteinander zu tun haben, und man wartet nur ab, bis die erste vorbei ist und die zweite beginnt. Als Spiritual darf ich mittlerweile acht Jahre lang diesen Rhythmus des spürbaren Wechsels zwischen den beiden Phasen beobachten. So ein Trend hat vielleicht mit einem gewissen Funktionalismus zu tun. Konkret heißt das: im Semester muss ich funktionieren und in den Ferien muss ich das nicht, vergleichbar mit dem Ein- und Ausschalten der Stromversorgung eines Computers. Doch ausschlaggebend ist nicht die Stromversorgung (das wäre in diesem Vergleich das Collegium), sondern der Strom selbst, seine Energie, mit deren Hilfe der Computer arbeiten und funktionieren kann. Robert Spaemann erwähnt in seinem Vortrag ein Bindeelement, eine Strombrücke, welche diese beiden Phasen der Priesterausbildung verbindet und vereint: Das ist die Gebetsgemeinschaft. Gebet und Gemeinschaft sind Stromquelle und Strombrücke zugleich: ohne diese beiden wird unser Dasein ein bloßes Abwarten und unser Priestersein ein bloßes Funktionieren. Dieser Logik nach wäre jeder von uns ein Kultfunktionär, der die religiösen Bedürfnisse der anderen zu erfüllen hat. Die Religion ist dann nur noch Funktion. Es sollte uns aber auch bewusst sein, dass die viele Menschen heutzutage „die Kirche als einen Dienstleistungsbetrieb im Rahmen der Freizeitindustrie [verstehen], einen Betrieb für die Entfaltung informeller Menschlichkeit, in dem der Priester Animateur der Kreativität und Kommunikation ist.“[2] Vor dieser Denkweise müssen wir uns hüten! Es kommt letzten Endes darauf an, wer Jesus für die Christen und ganz konkret für den Einzelnen, auch für mich ist? Welche Rolle spielt mein persönlicher Glaube? Will ich mich überhaupt weiter entwickeln und menschlich, intellektuell, pastoral und geistlich reifen?
Ich bringe Euch jetzt ein Beispiel von Placeboversuchen in der Medizin:
Man gibt dem Patienten ein Scheinmedikament. Es hilft oft, wenn der Patient daran glaubt. Weiß er aber, dass nichts in der Pille ist, hilft sie nicht mehr. Als Jesus heilte, sagte er: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Er meinte damit nicht, dass der Glaube das Einzige sei und Jesus nur ein Scheinmedikament, ein Placebo sei. Nein, er meinte, die Heilung und Jesus selbst seien eine Wirklichkeit, die den Glaubenden erfüllt. So ist es auch beim Eucharistieempfang. Die heiligen Gaben, der Leib und das Blut Christi, werden, durch unseren Glauben existenzielle Wirklichkeit. Wenn man das Christentum nur durch seine Funktion definiert, wird der Priester zu einem Funktionär, und ein Priesterseminar oder unser Collegium zu einem System oder zu einem Studentenwohnheim mit Vollverpflegung. Das wollen wir nicht zulassen. Alles, was Euch in der formation in der sogenannten „strengen Phase“ zuteilwurde, wird immer in Erinnerung bleiben, wenn ihr das wollt; auf das Wollen kommt das an. Abschließend möchte ich Euch für die Sommerferien einige Gedanken mit auf den Weg geben:
- Denkt groß und begreift eure Würde als Menschen: Der Priesterkandidat muss ein Mensch von heute sein, aber ein Geheimnis haben, ein Schatzbewahrer sein.
- Das innere Gebet muss Euch sehr wichtig sein: Es muss gelernt und regelmäßig geübt werden (Beispiel vom Klavierspieler).
- Sucht und pflegt die Gemeinschaft mit anderen Menschen.
- Lest in der der Hl. Schrift, steigt besonders ein in die Einübung der Psalmen und in die Kirchenväterliteratur.
- Heiligt den Alltag und nehmt teil an der hl. Liturgie sonntags, wenn möglich, auch täglich.
- Freut Euch allen Widerständen zum Trotz und seid Diener der Freude für andere.
- Erholt Euch an Leib und Seele und bemüht Euch um den inneren Frieden.
Amen.
Zur Betrachtung:
„[…] Ausruhen von den fortlaufenden Arbeiten werden die Knechte, die das ganze Jahr über arbeiten. Gönne Ruhe deinem Koch; gib Erholung dem, der dir den Tisch serviert; lass ausruhen die Hand des Mundschenks! Es soll sich ausruhen auch der Kuchen- und Pastetenbäcker! Auch das Haus ruhe einmal von dem ewigen Lärm, von dem Rauch und Dampfe, von den Auf- und Ab-, Hin- und Herlaufenden, die dem Bauche als einem unerbittlichen Herrn dienen. Es geben ja doch auch die Steuereintreiber ihren Untergebenen ein wenig Freiheit. Es gebe denn auch der Bauch dem Munde einige Ruhe, und er schließe […] den [Frieden] mit [dem, der] immer nur fordert und nie zufrieden ist, der heute empfängt und es morgen nicht mehr weiß. Ist er voll, dann philosophiert er über Enthaltsamkeit; ist er leer, dann vergisst er die Lehren wieder“.[3]
Hl. Basilius (†379) sieht also die Fastenzeit als Zeit für die echte Erholung.
- Was ist denn für Dich die echte Erholung?
Wiederrum nimmt sich der hl. Cyprian von Karthago (†258) Zeit für die Erholung, in dem er ein Ruheplätzchen in seinen Gärten aussucht und mit Donatus Gespräche führt.
„[…] es ist auch gerade die jetzige Zeit ganz besonders geeignet, es zu erfüllen, da jetzt, dank der Weinlese, der Geist, aller Sorgen ledig, sich seiner Erholung widmen und nach den Mühen des Jahres die übliche, regelmäßig wiederkehrende Ruhe genießen darf. Auch der Ort stimmt mit der Zeit zusammen, und mit dem milden Wehen der streichelnden Herbstluft vereinigt sich der liebliche Anblick der Gärten, um unsere Sinne zu erquicken und zu erfreuen. Wie angenehm läßt sich hier plaudernd den Tag verbringen und in ernsten Gesprächen unser Herz zur Kenntnis der göttlichen Gebote hinleiten!“[4]
- Hast Du ein Ruheplätzchen?
[1] R. Spaemann, Die Existenz des Priesters: eine Provokation in der modernen Welt (PWB: Sonderdrucke 16), Freiburg 1980.
[2] Ebd., 2.
[3] Basilius von Cäsarea, Ausgewählte Predigten I,7 (BKV).
[4] Cyprian von Karthago, Ad Donatum I (BKV).
Quelle für das Bild oben: https://www.priesterseminar-eichstaett.de/priester-werden/propaedeutikum/