Neulich hatte ich ein kurzes Gespräch beim Friedensgebet mit einer Dame, die mir erzählte, dass sie momentan viel im Garten zu tun hat. Denn wenn sie jetzt im Spätherbst die Gartenarbeiten erledigt, hat sie im Frühjahr weniger Arbeit. Die Mühen und Vorbereitungen im Garten bleiben nicht unbelohnt, und später kann man sich an den Früchten des Gartens erfreuen. Alle, die vielleicht selbst einen Garten zuhause haben, wissen, wie viel Mühe und Zeit es kostet, einen schönen und gepflegten Garten zu erhalten. Vielleicht haben Sie auch andere Menschen beobachtet und gesehen, wie viel Liebe und Geduld sie investieren müssen, um einen schönen Garten zu haben und andere an dessen Schönheit und Ordnung teilhaben zu lassen. Für viele ist der eigene Garten ein Ort der Erholung und Regeneration ihrer seelischen Gesundheit. In der Pflege und Sorge um den Garten finden manche auch einen Sinn für ihr Leben.
Dieses kurze Gespräch am Residenzplatz brachte mich auf den Gedanken, einen kleinen Impuls über Gärten zu verfassen, angefangen beim Garten Eden im Buch Genesis, über den Garten Gethsemane bis hin zu unserem geistlichen Leben, das man, bildlich gesprochen, ebenfalls als einen Garten verstehen kann. Das Gespräch beim Friedensgebet erinnerte mich auch an ein Bild von Emil Nolde (1867–1956) „Der große Gärtner“, das ich vor Jahren bei einer Fortbildung erhalten habe. Dieses Bild und die dazugehörige Betrachtung liegen Ihnen nun vor.
Liebe Kollegiaten! Einige von Ihnen fragen sich vielleicht: Was will der Spiritual mit diesem Impuls bewirken? Was will er uns zu Beginn des Wintersemesters 2024/2025 damit sagen? Ich möchte Sie einladen, einen Blick auf dieses Bild zu werfen und darüber zu meditieren. Welche Gedanken kommen auf? Welche Fragen oder Ideen entstehen vor dem geistigen Auge? Was, wenn dieser Garten unsere Welt wäre, Gott der Gärtner und jeder von uns eine kleine Pflanze darin?
Doch bevor wir zur Betrachtung dieses Bildes übergehen, soll ein kurzer Blick auf zwei Gärten in der Bibel geworfen werden. Das hebräische Wort „gan“, das vom Verb „gnn“ abgeleitet ist und „beschützen hegen“ bedeutet, steht sinngemäß für „Umwallung“. Es bezieht sich meist auf einen von Mauern umgebenen königlichen Garten oder Park. Angesichts der Bedeutung von Gärten im Alltag Palästinas ist es nicht überraschend, dass auch Gott als Gartenbesitzer dargestellt wird. So lesen wir im Buch Genesis, dass Gott, der HERR, einen Garten für den Menschen, den er erschaffen hat, pflanzte. Er, JHWH (ich-bin-der-ich-bin), „ließ aus dem Erdboden allerlei Bäume wachsen, begehrenswert anzusehen und köstlich zu essen, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ (vgl. Gen 2,8f.). Doch nachdem Adam und Eva Gottes Gebot missachtet und vom verbotenen Baum gegessen hatten, versteckten sie sich vor Gott. Ihr Schöpfer sucht daraufhin den Menschen und stellt ihm die erste und entscheidende Frage: „Wo bist du?“ Mit anderen Worten: Bist du noch in meinem Garten, den ich für dich geschaffen habe? Aber der erste Adam fürchtet sich vor Gott, schämt sich, versteckt sich und meidet die Begegnung mit Gott. Als Urvater der Menschheit trug Adam eine Verantwortung, die er nicht erfüllte, was verheerende Konsequenzen nach sich zog. Der Ungehorsam des ersten Menschen im Garten und seine Angst vor dem Tod (vgl. Gen 2,17; Röm 5,12-21) weisen auf den kommenden zweiten Adam hin, auf Jesus Christus, der im Garten Gethsemane, am Ort der Olivenpresse, seine Mission erkennt, sich nicht versteckt, sondern selbst die Begegnung sucht. Er stellt seinen Anklägern die entscheidende Frage: „Wen sucht ihr?“ Damit endet ihre Suche im Garten: Der Gesuchte, der zweite Adam, gibt sich freiwillig in ihre Hände, um dem gefallenen Adam das Heil zu bringen.
An zwei zentralen Punkten der Menschheitsgeschichte steht also der Garten als Ort des Lebens und der Begegnung. Gott, der Herr als Hüter des Gartens begegnet dem ersten Menschen und spricht mit ihm, obwohl dieser sich Gott widersetzt. Jesus, der später von Maria Magdalena als Gärtner (Joh 21,15) erkannt wird und ihr die gleiche Frage stellt, spricht ebenfalls mit den Menschen im Garten Gethsemane, obwohl sie seine Ankläger sind – eine Begegnung, die letztlich nicht zum Tod, sondern zum Leben in Fülle führt, ja, zum ewigen Leben im göttlichen Garten, dem Paradies.
Mit dem gerade Gehörten lasst uns nun gemeinsam auf das vorliegende Bild von Emil Nolde schauen.
Es erscheint wie eine Umsetzung aus dem inneren Bilderschatz eigener Erfahrung, Empfindung und Erlebniskraft. So manches erscheint fürwahr unwirklich: das abendliche, von innen leuchtende Licht, welches aus dem Orange und Rot der Blumenkelche vor dem zurücksinkenden Grün der Erde aufstrahlt; die eigentümliche Gestalt dieser Pflanzen, die sich wie Urpflanzen des ersten Schöpfungstages erheben, im Verzicht auf alle benennbaren botanischen Details; Blumen, die wie Baumwesen erscheinen, ins Riesige wachsend; und der alte Gärtner, der von oben alles mit seine Güte umsorgt. Alles in diesem Bild scheint einander zugeordnet und in einer tiefen Harmonie zu sein.
Er, der göttliche Gärtner, liebt diese Erde, er liebt seinen Garten.
Aus dem Blau seines Himmels schaut er voll Interesse auf diese seine Erde. Alles, was da sprießt, ist seine Schöpfung, alles, was geschieht und wächst, umfängt er mit seiner Liebe und Sorgfalt. Dunkles und Helles wächst gemeinsam und nebeneinander in seinem Garten. Er kennt beides. In der Zuversicht, dass Gott mich kennt, wie ich bin, mit all meinen dunklen und hellen Seiten, mit Tiefen und Höhen darf ich sein, wie ich bin. Es ist sein Garten… Dieser Gedanke schenkt mir gerade jetzt zu Beginn dieses Semesters den Mut, neu aufzubrechen, aufzustehen und meinen Wachstumsprozess zu fördern. Die Sommermonate, die Zeit der Trockenheit haben vielleicht dazu beigetragen, dass die Pflanzen ausgetrocknet sind und gar keine oder nur wenig Frucht brachten. Diese Tatsache ist für den göttlichen Gärtner kein Grund, entmutigt und frustriert zu sein. Er neigt sich und schaut mit innerer Freude einer jeden Blume zu, die ihn mit ihrer leuchtenden Farbe erfreut. Jeder einzelnen Blume wendet er seine Aufmerksamkeit und Sorge zu. Ganz nahe ist sein Blick, tief gebeugt über alles; so kennt er eine jede seiner Blumen. Vieles wächst krumm und schief, auch in seinem Garten. Aber er hat Geduld. Er kann zuwarten, bis sich endgültig zeigt, was aus seiner Pflanzung, dem Setzling, geworden ist.
Die Weise, wie der große Gärtner seine Blumen wachsen und in seinen Himmel hinein reifen lässt, ist die Weise, wie er sie liebt – auch die Schwachen, die noch wenig Wurzeln haben. So beschäftigt er sich auch mit dieser einen Blume. Aus dunklem Grund wächst sie auf langem Stil ihm entgegen. Mit leuchtender Farbe hat der Künstler sie gemalt. Ihr Leuchten entdeckt man wieder im Gesicht des Alten, des Großen Gärtners. Dieser nimmt seine Hand zu Hilfe und berührt die Blume. Was will er tun?
Will er im Innern der Blüte ihre Reife prüfen? Will er Schädliches aus ihr entfernen?
Oder will er sich einfach an der Schönheit seiner Blume erfreuen?
»Er reinigt sie, damit sie noch mehr Frucht bringt…«, und noch schöner und vielfältiger blüht.
Denn der große Gärtner macht, dass das Leuchten der Blüte etwas vom Glanz und der Freude seines eigenen Antlitzes widerspiegeln wird. (Röm 1,20)
Stellen wir uns die Fragen:
- Kenne ich das Geheimnis, das in mir ist, bis es offenbar wird im Aufstrahlen der Blüte?
- Wo entdecke ich in mir solches Wachsen und Aufstrahlen?
- Sind die Farben meines Lebens etwa erblasst, dunkelstrahlen sie vielleicht nicht mehr wie früher?
- Fühle ich mich arm und unentwickelt – voller Angst, dass alles zu klein bleibt und sich im Dunkel verliert, welk und krumm?
Doch immer weiß ich: Ich darf unter seinen Augen sein, mich ausstrecken nach dem, der selbst groß ist und wachsen, um alles Kleine und Dunkle hinter mir zu lassen.
Gebet
Herr, schau auf mich und die anderen um mich.
Auch ihnen bist du nahe.
Oft steht der Wind uns entgegen, macht uns müde und verzagt.
Wir bedürfen des offenen Himmels, deines Antlitzes, das sich uns zuwendet.
Um ein Zeichen bitten wir dich,
um die Stille, in der du nahe bist,
damit etwas reift auf dem Feld unseres Lebens
und etwas sichtbar wird von deinem Reich.
Wenn alles dunkel und schwarz geworden,
wenn wir unser Leben und Wachsen nicht mehr sehen und verstehen,
dann lass uns glauben,
dass dein Antlitz uns anschaut mitten aus der Dunkelheit,
dann lass uns wissen,
dass dein Reich in seinen kleinen Anfängen hier unter uns angebrochen ist,
dann lass unser Licht widerstrahlen in deinem Licht.
Herr, immer wieder gerate ich in die Gefahr,
vom Weg abzukommen,
ein Spiel der Stürme und Wellen des Lebens zu werden.
Doch du wachst über mich,
mit deinem Wort und deinem Blick,
mit deiner Liebe, in der du dich mir zuwendest.
Aber ich verberge mich –
vor mir selbst, hinter meinem Nächsten – vor dir.
Ich glaubte, ich hätte mich endgültig an dich mich verschenkt;
aber dann brachen die Wogen über mich ein,
mein ganzer Reichtum ist nur noch die Einsamkeit und die Nacht.
Denn Nacht wurde, wo Licht war.
So bin ich beladen mit mir selbst.
Lass dein Antlitz wieder leuchten über mir und dein Licht neu strahlen:
Sei nahe du!
Sonne und Mond,
Tag und Nacht,
Frühling und Winter,
sie alle kommen aus deiner Hand.
Ich selbst stehe zwischen Himmel und Erde –
in deinem Licht,
in deiner Gegenwart,
du aber willst für immer bei mir sein.
Du, Herr, hast mich gefunden!
Aus deiner Hand komme ich,
und deine Hand will vollenden mich.
Du behütest mich wie deinen Augapfel,
denkst an mich und begleitest mich.
Du bewahrst mein Bild bei dir,
in Zeiten der Finsternis und Verlorenheit,
und rufst mich wieder, wenn es Zeit ist.
»Meine Zeit steht in deinen Händen« (Ps 31)
Herr, ich danke dir,dass du meinem Leben diesen großen Sinn gegeben hast:
vor dir zu stehen, zu wachsen und zu blühen.
Deine Nähe und dein Angesicht sind mir zugewandt.
Du hast mehr Geduld mit mir als ich:
Während ich nicht mehr will,
nicht mehr kann oder nicht mehr weiter weiß,
wirfst du Samen aufs Land,
auf dass alles reiche Frucht bringe.
Dir sei Dank dafür. Amen.