Advent ‒ wachsame und betende Erwartung: Gottesmutter vom Zeichen

Neulich hatte ich die Gelegenheit, gemeinsam mit den Spiritualen der römisch-katholischen Priesterseminare in Süddeutschland das Gebethaus in Augsburg zu besichtigen. Dieses Gebetshaus, gegründet im Jahre 2005 von einem Ehepaar Hartl, hat sich zum Ziel gesetzt, für unterschiedliche Anliegen ununterbrochen 24/7 zu beten. Die Gebetsgemeinschaft besteht aus den Christen verschiedener Traditionen und Konfessionen. Sie tut das auf moderne Weise mit zeitgenössischer Musik und viel Kreativität; stehend mit erhobenen Händen, herumgehend und sitzend wird dort gebetet. Das, was alle verbindet, ist das Gebet, genau, wie der hl. Apostel Paulus in 1 Thess 5,17 die Christen ermutigt: „Betet ohne Unterlass“. Die neue charismatische Bewegung mit ihrem Gebetshaus bietet ein Zuhause für Jung und Alt mit köstlicher Gastronomie und freundlicher Bedienung. Und sie hat enorm Zulauf…

Der Besuch dieses Gebetshauses und seine kreativen Gebetsinitiativen haben mich zum Nachdenken angeregt. Gleichzeitig haben sie mich ermutigt, meine eigene Gebetstradition zu schätzen und noch intensiver zu praktizieren. Ich möchte Sie heute einladen, über das Gebet ein wenig nachzudenken.

Was bete ich gerne? Wie geht es mir, wenn ich bete? Finde ich Zeit für das persönliche Gebet? Die Kirche hat von Anfang an eine Gebetstradition entwickelt, zu verschiedenen Stunden des Tages zu beten. Mit dem II. Vatikanischen Konzil ist die sogenannte „Tagzeitenliturgie“ wieder stärker ins Bewusstsein gehoben worden, deren Höhepunkt die Eucharistiefeier ist. Die Kirche hat auch im Laufe der Zeit nach dem Vorbild Jesu die Fastenzeiten eingeführt als eine intensive Zeit der Vorbereitung auf verschiedene Feste im Kirchenjahr.

Vor einigen Tagen begann bei den Christen byzantinischer Tradition die vorweihnachtliche Fastenzeit, Philippus-Fasten, benannt nach dem Apostel Philippus, dessen Gedenktag am 14. November begangen wird. Die sechswöchige Fastenzeit in den östlichen Kirchen entspricht dem vierwöchigen Advent in der westlichen Kirche. Mit dem ersten Advent, in diesem Jahr mit dem 1. Dezember, beginnt in der lateinischen Tradition das neue Kirchenjahr. Das Ziel der Fastenzeit in der Kirche war und ist, die Gläubigen auf das kommende Fest, auf die Geburt Christi, besser vorzubereiten. Nicht der Adventmarkt mit Glühwein und Plätzchen, nicht die vier Kerzen im Adventkranz, nicht die weihnachtliche Bescherung stehen im Mittelpunkt, sondern Jesus Christus, der aus Maria in Gestalt eines Kindes auf diese Welt kommt.

Zurecht betont ja das II. Vatikanische Konzil die Bedeutung Mariens mit folgenden Worten: „Bei der Feier dieses Jahreskreises der Mysterien Christi verehrt die heilige Kirche mit besonderer Liebe Maria, die selige Gottesgebärerin, die durch ein unzerreißbares Band mit dem Heilswerk ihres Sohnes verbunden ist. In ihr bewundert und preist sie die erhabenste Frucht der Erlösung. In ihr schaut sie wie in einem reinen Bilde mit Freuden an, was sie ganz zu sein wünscht und hofft.“ (SC 103)

Die 960 Stunden während der sechswöchigen Fastenzeit stehen uns sowohl für die äußere als auch für die innere Vorbereitung zur Verfügung. Diese 960 Stunden könnten wir einfach absitzen, ohne aktiv zu handeln, uns von den Herausforderungen des Alltags vereinnahmen lassen und die Stunden an uns vorbeigehen lassen. Doch wir haben auch die Möglichkeit, diese Stunden mit Sinn zu füllen, indem wir zum Beispiel ein geistliches Buch lesen und das Surfen im Internet reduzieren, um uns mehr dem Gebet und der Vorbereitung unseres Herzens zu widmen. In diesen 960 Stunden der Vorbereitung und des Wartens kann uns auch eine Person beistehen, die auf die Begegnung mit der Sonne der Gerechtigkeit viel länger warten musste – nämlich 6570 Stunden, genau 9 Monate. Es ist kein Zufall, dass die Ostkirche in diesen 960 Stunden der vorweihnachtlichen Zeit gleich drei Marienfeste feiert: am 21. November das Fest der Einführung in den Tempel, am 27. November das Fest der Gottesmutter vom Zeichen und am 9. Dezember das Fest der Empfängnis Mariens. Alle drei Feste wären einer ausführlichen Betrachtung wert, doch aus Zeitgründen konzentrieren wir uns heute auf das zweite Fest, das Fest der Gottesmutter vom Zeichen.

Von welchem Zeichen ist hier die Rede? In der byzantinischen Ikonographie wird Maria in der Oranta-Haltung dargestellt, mit dem ungeborenen, bekleideten Jesuskind in ihrem Schoß. Diese Ikone verkörpert die Prophezeiung aus Jesaja 7,14: „Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben.“ Maria ist dieses Zeichen, das Gott der Menschheit schenkt, um Hoffnung und Erlösung in die Welt zu bringen. Sie ist die „Muttergottes vom Zeichen“, die den Sohn empfängt und gebiert, der das Heil zu allen Völkern bringen wird. Die Ikone der Muttergottes vom Zeichen (znamenie), griech. Πλατυτέρα (Platytera) ist in der byzantinischen Ikonografie ein bestimmter Typus eines Marienbildes und geht auf drei Gnadenbilder in der Blachernenkirche von Konstantinopel zurück. Die Gottesmutter wird in der Ostkirche als Platytera (größer als der Himmel) bezeichnet. In der Basilius-Liturgie besingen ja die Gläubigen: „Deinen Schoß hat er zum Thron gemacht und deinen Leib macht er weiter als die Himmel“.

Vor der Ikone der Muttergottes vom Zeichen haben die Gläubigen in Byzanz gebetet, besonders in den Zeiten der Kriege oder Belagerungen der Stadt Konstantinopel, was dann mit Übernahme des Christentums unter den slawischen Völkern verbreitet und praktiziert wurde. Die Ikone stellt uns das Zeichen vor Augen, das Gott dem zitternden König Ahas gab. Dieses Zeichen ist die Jungfrau, in deren Leib der Immanuel, der Gott-mit-uns heranwächst. Es ist ein zutiefst vorweihnachtliches Motiv: in aussichtsloser Situation, in verzweifelter Lage kommt Gott selbst zu den Menschen, schenkt Hoffnung und Heil. Die Muttergottes vom Zeichen steht frontal mit erhobenen Armen und richtet ihre Augen auf die Gläubigen. Mariens Gesichtsausdruck ist einladend, sie nachzuahmen und genau wie sie in wachsame und betende Erwartung einzusteigen. Sie trägt über ihrem Gewand einen Mantel, auf dem drei Sterne zu sehen sind, die an die Jungfräulichkeit erinnern sollen. Das Jesuskind hat das Gesicht eines Erwachsenen und es ist mit Heiligenschein als DER SEIENDE dargestellt; er segnet mit beiden Händen vom Mariens Schoß aus den Betrachter und somit die ganze Menschheit.

„Daher richten sie [Christgläubige] ihre Augen auf Maria, die der ganzen Gemeinschaft der Auserwählten als Urbild der Tugenden voranleuchtet. Indem die Kirche über Maria in frommer Erwägung nachdenkt und sie im Licht des menschgewordenen Wortes betrachtet, dringt sie verehrend in das erhabene Geheimnis der Menschwerdung tiefer ein und wird ihrem Bräutigam mehr und mehr gleichgestaltet. Denn Maria vereinigt, da sie zuinnerst in die Heilsgeschichte eingegangen ist, gewissermaßen die größten Glaubensgeheimnisse in sich und strahlt sie wieder. Daher ruft ihre Verkündigung und Verehrung die Gläubigen hin zu ihrem Sohn und seinem Opfer und zur Liebe des Vaters.“ (LG 65)

Vor diesem Hintergrund wird auch das Troparion und Kondakion vom 27. November verständlicher. So singt die Kirche darin mit folgenden Worten:

„In dir haben wir ein unerschütterliches Bollwerk und eine Quelle voller Wunder, makellose Gottesgebärerin und mit deiner Hilfe schlagen wir, deine Diener, jeden Angriff der Feinde zurück. So bitten wir dich, unsere Stadt zu behüten und unseren Seelen die Gnade des Heils zu vermitteln“.

Deine verehrte Ikone des Zeichens, hochheilige Gottesgebärerin feiern wir heute, mit der du deiner Gemeinde gewährtest den leuchtenden Sieg über den Feind. Wir, dein Volk, singen dir voller Glauben: Sei gegrüßt, o Jungfrau, du Ruhm der ganzen Christenheit.“

Die Ikone der Muttergottes des Zeichens mit ihrer tiefen Symbolik erinnert uns daran, dass wir nie  allein sind, auch bei der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest – und mit Gottesmutter lassen sich die 960 Stunden des Fastens leichter zu durchschreiten. Papst Benedikt hat diese Vorbereitungszeit als „wachsame und betende Erwartung“ formuliert.

  • Sei auch Du wachsam in Deinem Tun, in Deinem Verhalten und in Deinen Beziehungen zu anderen und zu Dir selbst.
  • Nimm diese 960 Stunden des Wartens ernst und bete, in dem Du das Fest erwartest!
  • Sei ein Zeichen für die Gegenwart Gottes in der Welt!
  • Mache Christus in Deinem Leben sichtbar!

Die vorweihnachtliche Zeit lädt Dich ein, wie Maria offen und bereit zu sein, das Licht des Erlösers in Dein Leben aufzunehmen, es widerzuspiegeln und in Dir wachsen zu lassen. Amen.

Gott hat

sein letztes, tiefstes und schönstes Wort

Gestalt werden lassen.

Und dieses Wort heißt:

Ich liebe dich,

du Welt, du Mensch.

Karl Rahner