Zu Beginn dieses Wintersemesters 2023-2024 möchten wir am heutigen Abend über unsere Berufung zum Priestertum nachdenken. Jeder Mensch auf dieser Erde hat eine Berufung, Berufung zum Leben, zum Leben in Fülle. In kirchlichen Kreisen sprechen wir gerne von einer besonderen Berufung und zwar einer Berufung zum Leben als Priester. Aber was ist überhaupt diese Berufung zum Priestertum? Kann man diese beschreiben und entdecken z. B. an einem Merkmal?
Die meisten werden wohl sagen können, glaube ich, dass sie keine Erscheinung oder Vision hatten, in der ihnen gesagt wurde, Sie sollten Priester werden! So etwa: Du musst ins Priesterseminar, Du musst ins Collegium Orientale nach Eichstätt. Wenn wir also von unserer persönlichen Berufung sprechen, denken wir öfters an verschiedene Situationen, Lebensereignisse, vielleicht Lebenskrisen, aber insbesondere an Menschen, die dazu beigetragen haben, den inneren Ruf Gottes gespürt und seine leise Stimme entdeckt zu haben. Diesem Ruf zu folgen und dieser Stimme zu zuhören ist eine der schwierigsten Aufgabe im priesterlichen Leben. Die innere Stimme kann man auch als das Wirken des Heiligen Geistes in uns nennen, die unser Herz nicht in Ruhe lässt und zu weiteren Schritten motiviert. Diese vom Geist erfüllte Herzensunruhe will uns in Bewegung setzen und wir nennen sie „heilige Unruhe“. Ich habe ganz bewusst den Ausdruck „heilige Unruhe“ verwendet, der sonderbar klingt, widersprüchlich und spannungsgeladen erscheinen mag. Das Adjektiv „heilig“ hat verschiedene Synonyme wie sakral, verehrungswürdig, geweiht und dies ist immer eine Eigenschaft Gottes, wir Menschen dagegen sind nur auf dem Weg zum Heiligwerden; wir streben danach, in dem wir die Vorbilder und die Nachahmer im Glauben haben wie Jesus, Muttergottes oder andere Menschen. Anderes verhält es sich beim Nomen „Unruhe“. Das Wort bedeutet innere, nervöse Erregung, Besorgnis oder Angstgefühl, das den Menschen ergreifen, überkommen und erfüllen kann. „Unruhig ist mein Herz, bis es Ruhe findet in dir, o Herr“ – schreibt hl. Augustinus, wohl meinend die „heilige Unruhe“, ja die Sehnsucht nach Gott, die er, Augustinus und jeder Mensch das ganze Leben lang in sich tragen soll. Diese „heilige Unruhe“ dient uns als der geistliche Indikator unserer Berufung oder auch als geistliches Barometer, dass beides, sowohl „heilig“ als auch „Unruhe“ zusammenführt und ausbalanciert, um nicht in Extreme zu fallen; um nicht vor „Heiligkeit zu platzen“ oder ständig in Unruhe zu sein.
Liebe Priester und Kollegiaten! Wir haben in der Bibel unzählige Beispiele von „heiliger Unruhe“, von religiösem Eifer, die die Menschen veranlasste, sich für die Sache Gottes und die der Menschen einzusetzen. So lesen wir im Buch der Richter von Simson, der sich für das Volk Israel gegen die Philister einsetzt: „In Mahane-Dan, das zwischen den Städten Zora und Eschtaol gelegen ist, begann „der Geist des Herrn ihn [Simson] zu bewegen.” (Ri 13,25) Ähnlich wie bei Simson schreibt der Evangelist Lukas über Johannes den Täufer, über seine Geburt und seinen Eifer, und den Auftrag Umkehr und Taufe zur Versöhnung mit Gott, die Taufe zur Vergebung der Sünden zu verkünden (vgl. Lk 3,3). Auch Johannes hatte in sich diese „heilige Unruhe“, erfüllt vom Heiligen Geist, mit der Kraft des Elijas dem Herrn den Weg zu bahnen, die Herzen der Väter den Kindern zuzuwenden, sich für die Gerechtigkeit einzusetzen und sogar das Volk Israel für den Herrn bereit zu machen (vgl. Lk 1,15-17). Erfüllt vom Heiligen Geist verlässt Jesus gleich nach seiner Taufe die Jordangegend und umhergeführt vom Geiste verbringt er vierzig Tage in der Wüste. Vom Teufel dreimal versucht kehrt Jesus in der Kraft des Geistes nach Galiläa zurück, so dass er in seiner Heimatstadt Nazareth von sich sagen kann: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt und gesandt, den Armen das Evangelium zu verkünden, den Gefangenen die Entlassung, den Blinden das Licht und den Zerschlagenen die Freiheit.“ (Lk 4,18f.) Die Kraft des Herrn, die Jesus in sich hatte, drängte ihn sogar die Kranken zu heilen (vgl. Lk 5,17), einfacher gesagt, den Menschen in der Not beizustehen. Jesus Christus wurde zum Heil der ganzen Menschheitsfamilie in der Kraft des Geistes vom Vater gesandt bis ans Kreuz. Des Weiteren weiß sich auch Paulus vom auferstandenen Christus zum Apostel berufen und spürt in sich sogar den inneren Zwang, die Frohbotschaft von Christi Tod und Auferstehung zu verkünden. „Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, gebührt mir deswegen kein Ruhm; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor 9,15)
Liebe Mitbrüder in Christus! All diese Beispiele zeigen uns, wie wichtig es ist, sich zu fragen, ob und wie die Kraft des Herrn oder der Geist Gottes eine Rolle in unserer Berufung spielt. Was treibt uns umher? Was oder wer erfüllt unser Herz, so dass dann der Mund davon spricht? Papst Benedikt XVI. sprach am 24. April 2005 in seiner ersten Predigt von „einer heiligen Unruhe“ Folgendes: „Den Hirten muß die heilige Unruhe Christi beseelen, dem es nicht gleichgültig ist, dass so viele Menschen in der Wüste [der Gottesferne] leben.“.[1] Von der gleichen „heiligen Unruhe“ spricht der Heilige Vater auch zum römischen Klerus: „Heilige Unruhe“ [in sich zu haben, heißt], allen die Gabe des Glaubens zu bringen, allen dieses Heil anzubieten, das allein auf ewig bleibt.“[2]
Anfangs fragte ich, ob sich die eigene Berufung als Gottgewollt an einem Merkmal erkennen lässt und abschließend wage ich doch zu sagen. Die in mir gespürte „heilige Unruhe“ ist eines dieser Merkmale, die Dich und mich lebenslang begleiten soll. Die ewige Ruhe erlangen wir in der Wohnung der Glücklichen erst nach unserem Tod (aus dem Gebet zur 9. Stunde), deshalb ist jetzt die Zeit gekommen, um zu handeln, zu studieren, zu beten bis wir in Gott die endgültige Ruhe finden. Amen.
[1] https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/homilies/2005/documents/hf_ben-xvi_hom_20050424_inizio-pontificato.pdf
[2] https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2005/may/documents/hf_ben-xvi_spe_20050513_roman-clergy.html