
„Priestertum: Wenn Berufung zum Beruf wird…“ ist das Thema unseres heutigen „Stillen Abends“. Was ist Berufung und was ist Beruf? Worin unterscheiden sich beiden Begriffe? Jeder Mensch auf dieser Erde hat eine Berufung zum Leben. Die Frage ist nur, ob jeder Mensch dieses eine Leben als Berufung versteht. Jeder Mensch hat eine Berufung zum Glauben, die Frage ist nur, ob jeder an Gott glaubt oder vielleicht an sich selbst, an Schicksal, an höhere Instanz(en). Jeder Mensch hat darüber hinaus eine Berufung zum Dienst, sei es in einer Familie, sei es in der Gesellschaft, sei es in der Kirche. Die Frage ist nur, ob er sich dessen bewusst ist. Berufung zu haben, heißt nicht automatisch nach der Berufung zu leben. Man kann sich auch der Berufung verschließen und daraus nur einen Beruf machen, in dem die materielle Lebensgrundlage verdient wird, ohne Bezug auf die Person selbst und ihr Umfeld. Manche Bäcker und Metzger üben ihren Beruf voller Leidenschaft und Hingabe aus, aber kann es eine „Berufung“ sein, Brot zu backen oder Fleisch zu verkaufen? Wo ist aber der Unterscheid zwischen einem Metzger und einem Priester? Der Unterschied liegt darin, dass der Metzger sich nicht unbedingt identifizieren muss mit dem, was er tut. Sein Job hat keine Konsequenzen auf sein Leben und umgekehrt. Bei einem Künstler verhält sich das aber schon anderes, denn seine Kunstwerke sollten von ihm sprechen, von seinem Leben und seiner Weltsicht. Noch anders verhält es sich bei einem Priester. Um nicht bloß kirchlicher Jobber zu werden, bedarf die Verkündigung des Wortes Gottes seiner geistlichen Lebensführung. Der Priester stellt seine religiösen Dienste den Menschen nicht „zur Verfügung“, oder bietet sie etwa Kauf an, sondern der Priester soll in seinem Leben das umsetzten, was er verkündet, was selbst glaubt und was er bei der Weihe empfangen hat. Mit anderen Worten wird er nur dann glaubwürdig, wenn sein Tun mit seiner Lebensführung übereinstimmt, denn seine Berufung verlangt vom ihm Hingabe, Leidenschaft und brennende Liebe. „In der Heiligen Schrift ist immer wieder davon die Rede, daß und wie Gott dem Menschen seinen Willen kundtut und ihn beruft. Diese Berufungsberichte der Bibel können den Eindruck entstehen lassen, daß Gottes Ruf den Menschen eher von außen, »vom Himmel herab«, trifft. [Doch es gibt auch andere Erfahrung], daß nämlich Gott den Menschen auch – bzw. meistens sogar – »von unten«, und zwar durch die Ereignisse und Dinge seines Lebens beruft, so daß der Mensch erfährt, wie eng Gottes Berufung mit seinem Leben zusammenhängt. Darin zeigt sich ein spezifisches Verständnis von Berufung, daß nämlich der Mensch in der Gesamtheit seiner Bestimmungen als ein Ruf Gottes verstanden werden darf: Er bekommt nicht den Ruf Gottes, er ist Ruf Gottes!“ Das Finden des Willens Gottes bleibt eng mit dem Sich-Einlassen auf die eigene Lebenslinie verbunden und setzt Teil- und Vorfragen voraus: Wer bin ich? Wo liegen meine Fähigkeiten und Stärken, meine Grenzen und Schwierigkeiten? Welche Aufgaben und Verpflichtungen habe ich? Nur wer sich hier genau kennt und weiß, was er will, wird wissen, was Gott von ihm verlangt.[1]
Die meisten werden diesen Gedanken wohl auch bestätigen können, dass sie keine Erscheinung oder Vision hatten, in der ihnen gesagt wurde, Du sollst Priester werden! Du musst ins Priesterseminar, Du musst ins Collegium Orientale nach Eichstätt. Wenn wir also von unserer persönlichen Berufung sprechen, denken wir öfters an verschiedene Situationen, Lebensereignisse, vielleicht Lebenskrisen, aber insbesondere an Menschen, die dazu beigetragen haben, den inneren Ruf Gottes gespürt und seine Stimme entdeckt zu haben. Diesem Ruf zu folgen und auf diese Stimme zu hören ist eine lebenslange Aufgabe, an der ein Priester immer arbeiten muss. Diese innere Stimme kann man auch als das Wirken des Heiligen Geistes in uns nennen, die unser Herz nicht in Ruhe lässt und zu weiteren Schritten motiviert. Ein Leben mit Gott bedarf der täglichen Umkehr und Neuorientierung in allem, was uns im Glauben verheißen ist. Nur einer, der seine Berufung und sich selbst als Ruf Gottes versteht und dieses wiederrum als kostbaren Schatz in »irdenen« und »zerbrechlichen« Gefäßen (vgl. 2 Kor 4,7) zu tragen vermag, wird inneren Frieden, Trost und Erfüllung finden in dem, was er tut, auch im Hinblick auf seine Schattenseite und verschiedene Lebenskrisen, da »der äußere Mensch aufgerieben wird, der innere Mensch wird Tag für Tag erneuert« (vgl. 2 Kor 4,16).[2] Der hl. Karl Borromäus (*1538 – †1584) hebt hervor in einer Predigt seinen Zuhörern: „Sag nichts anderes, als was du wirklich tust“.
André Louf[3] (*1929 – † 2010) ein belgischer Theologe, Trappist zeigt das Gemeinte am Umgang mit geistlichen Idealen. Am Anfang des geistlichen Weges sind viele voller Begeisterung. Sie wollen schnell und großzügig auf den Ruf Gottes antworten und bereit sein, Opfer zu bringen, um ein guter und vollkommener Jünger zu werden. Geistliche Bücher und Übungen werden gelesen und reflektiert. Sie streben nach Vollkommenheit an und wollen gleich den geistlichen Fortschritt von sich selbst haben. Man übt sich in Selbstverleugnung, Demut, Gehorsam, selbstloser Liebe und großem Einsatz. Dabei versucht man, persönliche Probleme und Hindernisse zu überwinden. Auch das Leben mit anderen Menschen, etwa in einer Gemeinschaft, trägt dazu bei: Brüderlichkeit, Hingabe, Einsatzbereitschaft und Hilfsbereitschaft werden erwartet. Oft weckt das – bewusst oder unbewusst – den Wunsch, den eigenen Idealen möglichst perfekt zu entsprechen.
Wer geistliche Begleitung hat oder mit einem Abt oder Rektor spricht, möchte vielleicht als „demütiger“ Novize oder Seminarist erscheinen, als jemand, bei dem alles gut läuft, der keine Fragen oder Schwierigkeiten hat und über dessen Erfolge sich alle freuen können. Das wirkt beruhigend und zufriedenstellend – für beide Seiten.
Doch dieses Ideal der Vollkommenheit hat meist wenig mit den wirklichen Bedürfnissen und Erfahrungen eines Menschen zu tun. Probleme, Schwächen, Unsicherheiten, Ängste und Fragen werden verdrängt. Sie dürfen nicht mehr bewusst werden. Dadurch geht sehr viel innere Kraft verloren. So ein Mensch ist zwar freundlich und brav, aber innerlich bleibt alles blass und kraftlos. Oft zeigt sich das auch körperlich: Kopfschmerzen, Magen- und Rückenbeschwerden, Kreislaufprobleme oder häufige Erkältungen. Ein Mensch, der so lebt, hält an gut gemeinten Idealen fest, kann aber seinen eigenen Wünschen, Sehnsüchten und persönlichen Neigungen keinen Platz in seinem Leben mit Gott geben. Er ist fromm, aber lebt nicht wirklich nach seiner persönlichen, von Gott verliehenen Art und nach seiner Ausstattung mit Talenten. Jede Berufung kann den Menschen an seinen Nullpunkt führen, an dem die eigenen Kräfte nicht mehr ausreichen. Die Erfahrung der eigenen Ohnmacht – und vielleicht sogar des Scheiterns – kann eine auch Stunde der Gnade, wenn sie den Menschen für Gott öffnet. Dass Priestertum in besonderem Maße einer Berufung entsprechen muss und nicht zum Beruf wird, zeigen uns viele biblische Texte, besonders deutlich ist es zu erkennen in 1 Samuel 1-3, in dem die beiden Priestersöhne von Eli als nichtsnutzige Menschen bezeichnet werden, (1 Sam 2,12), die sich nur um ihre Bereicherung und Nutzen bemühen, das Opfer des Herrn mit Verachtung behandeln und schließlich beide an einem Tag sterben (1 Sam 2,34). Im Gegensatz zu ihnen ist der Knabe Samuel durch seine Berufung, sein Zuhören, Bereitschaft als Priester eingesetzt (2,35) und als Prophet des Herrn beglaubigt (3,20).
[1] M. Schneider, Lebensprojekt Berufung, (Editio Cardo. Bd. 69), Köln 2003, hier 5.
[2] Vgl. Wegweiser für das Geistliche Leben im Collegium Orientale, Eichstätt 2023, 21.
[3] A. Louf, Demut und gehorsam. Münsterschwarzach 1979, hier vgl. M. Schneier, Lebensprojekt Berufung, 49f.

