Spiritualität eines verheirateten Priesters

„Durch die Weihe und die vom Bischof empfangene Sendung werden die Priester zum Dienst für Christus, den Lehrer, Priester und König, bestellt. Sie nehmen teil an dessen Amt, durch das die Kirche hier auf Erden ununterbrochen zum Volk Gottes, zum Leib Christi und zum Tempel des Heiligen Geistes auferbaut wird“ (PO 1).

„Die Kirche hat die vollkommene und ständige Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen, die von Christus dem Herrn empfohlen, in allen Jahrhunderten bis heute von nicht wenigen Gläubigen gern angenommen und lobenswert geübt worden ist, besonders im Hinblick auf das priesterliche Leben immer hoch eingeschätzt. Ist sie doch ein Zeichen und zugleich ein Antrieb der Hirtenliebe und ein besonderer Quell geistlicher Fruchtbarkeit in der Welt. Zwar ist sie nicht vom Wesen des Priestertums selbst gefordert, wie die Praxis der frühesten Kirche und die Tradition der Ostkirchen zeigt, wo es neben solchen, die aus gnadenhafter Berufung zusammen mit allen Bischöfen das ehelose Leben erwählen, auch hochverdiente Priester im Ehestand gibt. Wenn diese Heilige Synode dennoch den kirchlichen Zölibat empfiehlt, will sie in keiner Weise jene andere Ordnung ändern, die in den Ostkirchen rechtmäßig Geltung hat; vielmehr ermahnt sie voll Liebe diejenigen, die als Verheiratete das Priestertum empfingen, sie möchten in ihrer heiligen Berufung ausharren und weiterhin mit ganzer Hingabe ihr Leben für die ihnen anvertraute Herde einsetzen (PO 16). Über diese „andere Ordnung“ in den Ostkirchen möchte ich heute vormittags mit Ihnen gerne vortragen und darüber abschließend ins Gespräch kommen.

Das Priestertum in sich also ist ein Dienst, den man sowohl zölibatär als auch verheiratet ausüben kann, wie das II. Vaticanum uns bestätigt.

Heutzutage, wo die meisten der Priesterkandidaten in der Kirche des byzantinischen Ritus sich für eine Familie entscheiden, ist es oftmals eine Herausforderung für einen Mann, der sich auf das Sakrament des Priestertums vorbereitet und gleichzeitig im Sakrament der Ehe seinen Weg als Ehemann beginnt. Für das erste Sakrament, da es keine bessere oder minderwertige Sakramente in der Kirche gibt, geht der Kandidat ins Priesterseminar in ein Haus, in dem er in menschlicher, intellektueller, spiritueller und pastoraler Hinsicht geformt, ausgebildet wird, in eine Pflanzstätte (seminarium), in der er sozusagen wie eine „Pflanze“ genug Wasser, Sonne und Nährstoffe für das Heranwachsen kriegt. Nach fünf, sechs Jahren wäre so eine „Pflanze“ sozusagen reif genug fürs Pflücken, damit sie zu den Menschen getragen wird, damit ihre Schönheit mitten in der Gemeinde bewundert wird, damit ihr geistlicher Duft andere faszinieren kann.

      Nun gib es ein großes „Aber“. Diese im Priesterseminar gewachsene und gereifte „Pflanze“ möchte noch vor der Weihe eine Familie gründen und dafür „braucht“ man eine passende Frau. Und jetzt, wo soll man hingehen, um sich würdig, vielleicht nicht sechs Jahre aber doch ein paar Jährchen schon, auf das Sakrament der Ehe, vorzubereiten? Es wird manchmal zu einer unüberwindlichen Hürde für einen ausgebildeten Priesterkandidat, der sich auf die Suche macht nach einem Schatz, auf die Suche nach der passenden, „richtigen“ Begleiterin für sein Leben, ja für sein Priesterleben. So erweckt es oft den Eindruck, dass das eine Sakrament dem anderen geopfert wird, dem Priestertum wird die Ehe geopfert. Niemals kann ein Sakrament gegen das andere ausgespielt werden, denn beide finden ihre Würdigung in einem dritten Sakrament, nämlich in der Hl. Eucharistiefeier.

Die Lebensentscheidung zu treffen, eine eigene Familie zu gründen, bedeutet im Ehesakrament von Gott gesegnet zu sein mit einer Frau, mit der man bereit ist, gemeinsam den Weg zur Heiligkeit zu gehen. Natürlich steht man als junger Mann vor einer der größten Herausforderung des Lebens, mit der Frage, wer ist diese, die bereit wäre den Weg mit mir zu gehen. Als junger Mann hat man bestimmt Vorstellungen oder Träume in Bezug auf die künftige Lebenspartnerin. Für den ist es wichtig, dass sie hübsch und attraktiv ist. Für den anderen vielleicht, dass die künftige Frau besonders klug ist. Ein dritter wiederum stellt möglicherweise das soziale Milieu, aus dem seine Geliebte kommt, in den Vordergrund. Mancher Mann wünscht sich sogar alle drei der genannten Voraussetzungen bei seiner künftigen Ehefrau zu finden.

Wenn man nur solchen Idealvorstellungen Raum gibt, kann es sein, dass man die richtige nie findet. Wer eine Familie gründen will, sollte sich als Erstes fragen, was das Sakrament der Ehe überhaupt bedeutet. Kann man guter Priester zugleich ein guter Ehemann und guter Familienvater sein? Man sollte sich klar darüber sein, dass man das Ehesakrament nicht als eine Trittstufe auf dem Weg zum Priestertum verstehen kann. All die Fragen bilden den Ausgangspunkt oder die Voraussetzungen für die Suche und Wahl einer Ehefrau. Doch bevor ich Ihnen einige mögliche Kriterien dafür nenne, möchte ich den oben gestellten Fragen an dieser Stelle Raum geben und in aller Kürze das Ehesakrament unter die Lupe nehmen.

Eine eheliche Lebensform bedeutet für den Priester eine Herausforderung im Sinne des Evangeliums und darf insofern nicht bloß als ein »Zugeständnis« an menschliche Bedürfnisse und Sehnsüchte angesehen werden. Der verheiratete Priester wird mit seiner Frau für die Gemeinde in gleicher Weise ein Vorbild für ein gelungenes Leben im Sinne des Evangeliums zu sein haben. Dies erfordert eine vertiefte Verinnerlichung der Theologie der Ehe als Form der Nachfolge, die man als Priester gemeinsam mit der eigenen Frau leben möchte. Der Frage nach der Stellung der Frau eines Priesters innerhalb der Gemeinde wie auch im Leben der Familie kommt insofern heute eine eigene Bedeutung zu, da sich hier manches inzwischen wesentlich geändert hat, da Ehefrauen von Priestern öfters einem eigenen Beruf nachgehen und nicht mehr sozusagen die »Magd« der Gemeinde sein wollen.

Der ostkirchliche Ritus versteht die Trauung nicht nur als Anfang eines konkreten Zusammenlebens in Ehe, Familie und Gesellschaft, sondern er betrachtet das Leben der Ehepartner in mystisch-soteriologischer und endzeitlicher Perspektive, also »über den Tod hinaus«. Schon darin wird sichtbar, dass die Ehe nach kirchlichem Verständnis nicht nur »abgesegnet« wird, sondern durch die liturgische Handlung eine ganze neue Dimension erhält. Nach östlichem Verständnis nahm Christus die menschliche Natur an, aber er selber stammte nicht von der Erde, sondern vom Himmel (1 Kor 15,45-47), so dass er als der neue Adam das Gleichgewicht der Geschlechter wiederherstellt (Gal 3,27f.), weshalb die Kirche von der ehelichen Verbindung als dem »großen Mysterium« der Liebe (Eph 5,32) spricht.[1] Das eheliche Leben bildet jene »kleine Kirche«, nicht bloß weil sie die Keimzelle menschlicher Gesellschaft darstellt, denn in ihr führt das mystische Handeln der Kirche zur Heiligung des Menschen und der menschlichen Gesellschaft als Grundlage einer neuen Welt (vgl. 1 Kor 7,12-14). So spiegelt sich in der Ehe das innertrinitarische Leben wider, wie auch der Ursprung der Ehe nicht im Sündenfall, sondern in der ursprünglichen Schöpfung liegt, hat der dreieinige Gott sie doch geschaffen. Dies alles zeigt sich recht deutlich im Ritus, der die Segnung der Brautleute in Beziehung setzt zum Segen Gottes für Adam und Eva im Paradies und zur Vollendung der Menschheit im neuen Jerusalem am Ende der Zeiten (Apk 21,10f.). In all dem zeigt sich der hohe Anspruch, dem ein Priester in und mit seiner Ehe zu entsprechen hat. Deshalb bedarf er einer guten und geistlichen Hinführung zum Ehesakrament. Diese gute und geistliche Hinführung kann nur gelingen, wenn zwischen Mann und Frau die „Chemie“ stimmt. Aus dem Chemieunterricht weiß man ja, nur ganz wenig Wasser versetzt eine Mischung von Zink, Ammoniumnitrat, Ammoniumchlorid in Flamme. Damit es künftig weniger brennt, sollte man schon im Voraus genau schauen, aber auch denken, welche ist die richtige Frau für mich als Priester?

Gibt es also bestimmte Kriterien, die helfen können, diese richtige zu finden?

Das erste Kriterium: Sympathie. Zunächst findet man eine Person sympathisch und diese Sympathie wird zu einer Anziehungskraft für spätere Beziehung. Eine Sympathie, Verliebtheit mit rosaroter Brille muss wachsen, sonst bleibt sie nur beim Äußeren, das vergänglich ist: Einfach gesagt, jeder Mensch wird älter und mit der Zeit verliert er seine Jugendreize. Zwei Verliebte müssen dem paulinischen Verständnis der Liebe gewachsen sein und dies auch verinnerlichen: Diese Liebe ist langmütig und gütig. Sie prahlt nicht, sucht nicht ihren Vorteil und reizt nicht zum Zorn. Sie ist nicht nachtragend, freut sich nicht über Unrecht, sondern erfreut sich an der Wahrheit. Diese Liebe erträgt alles, glaubt alles, hat immer Hoffnung und hält allem stand (Vgl. 1 Kor 13). Hl. Johannes sagt es: Gott ist selbst die Liebe und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm (1 Joh 4,16). Aus dieser Beschreibung der Liebe in der Bibel erwächst auch Ehrfurcht und Staunen vor der menschlichen Würde bzw. Größe; Ehrfurcht und Staunen vor einer Person, die ich liebe.

Staunend vor der Größe der anderen zu stehen ist viel tiefer als nur ein Bewundern und Respektieren. Das Staunen entsteht in der Tiefe des Herzens. In dieser Wahrnehmung versteckt sich auch der Schlüssel zum Geheimnis dauerhaft glücklicher Beziehung. Wenn ein junger Mann von einem Mädchen im Herzen berührt werde, erfährt er zugleich eigene Größe, Würde und Wert.

Das zweite Kriterium: Kommunikation.

In Bezug auf eine zukünftige Ehefrau muss sich der Mann fragen. Nehme ich und meine Freundin die Wirklichkeit auf ähnliche Weise wahr? Wenn wir einander etwas erzählen, wissen wir dann schnell, was der andere meint? Können wir miteinander über dieselben Dinge lachen? Haben wir gemeinsame Themen, die wir gerne besprechen? Wirken Menschen und Situationen sich auf uns ähnlich aus? In einer Ehe müssen die Eheleute fähig sein, von Herz zu Herz sprechen zu lernen, nicht nur über den Haushalt, Kinder etc., sondern auch über sich selbst, auch im Hinblick auf Gott, Glauben und Gebet. So ein Gespräch zwischen den beiden Herzen nenne ich „Kommunikationsmysterium“. Das Wort Kommunikation kommt aus dem Lateinischen („communicare“) und bedeutet „teilen, teilnehmen lassen, teilhaben, etwas gemeinsam machen, vereinigen“. Eine Kommunikation zwischen zwei Personen bedeutet gegenseitige Teilhabe am Leben des anderen. Wenn ich z. B. die Hl. Eucharistie empfange, habe ich communio (Gemeinschaft) mit Christus. Christus selbst nimmt also teil an meinem Leben und ich wiederum habe teil am göttlichen Leben. Für den hl. Augustinus ist die Eucharistie ein „Sakrament der Hingabe, Zeichen der Einheit, Band der Liebe”[2]. Ebenso kann die Kommunikation von Herz zu Herz zwischen Mann und Frau auch zum Zeichen der Einheit und zum Band der Liebe werden.

Das dritte Kriterium: Selbstreflexion sowie Bereitschaft, sich zu bessern und zu verzeihen.

Hier geht es darum, dass künftige Eheleute, noch vor der Trauung, versuchen sollen zu erkennen, welche Stärken und Schwächen sie haben, denn in der Ehe sollen die beiden ein Fleisch (Eph 5,31) sein, in dem Schwächen und Stärken der Partner sich ausgleichen, wenn sie dies annehmen und zulassen. Ansonsten wird das Familienleben zum Schlachtfeld, in der Auseinandersetzung wer der bessere sei und wer das „Sagen“ hat. Ein Zauberwort im Leben einer Familie ist das Wort „Verzeih bitte!“, das mit der Absicht, sich zu bessern, verbunden ist.

Das vierte Kriterium ist die gemeinsame Vision für das Leben; was streben wir gemeinsam an?

Wichtige Einflüsse auf die Schaffung einer gemeinsamen Lebensvision haben Herkunft, Mentalität, Erziehung, Bildung, Lebensentwürfe, Werte und Grundhaltungen der künftigen Lebenspartner. Denn wer Hand in Hand gehen will, soll das gleiche Ziel vor sich haben. Cicero meint: Freundschaft ist Überreinstimmung in göttlichen und menschlichen Dingen. Für einen angehenden Priester ist es von großer Bedeutung zu wissen, dass seine Frau gläubig ist und sich mit der kirchlichen Gemeinschaft identifiziert und ihn in seinem Dienst unterstützen wird. Sonst ist das ein Reich, das in sich gespalten ist, ein Reich, das kein Bestehen haben wird.

Beispiel von einer Kutsche, die von Schwan, Krebs und Pike gezogen werden sollte.

Das fünfte Kriterium: gemeinsame Interessen.

Solche Interessen müssen noch vor der Ehe zu erkennen sein. Wer z. B. ein begeisterter Sportler ist, wird sich schwer tun mit einer Person, die am Sport keine Freude hat. Wer ein Priester werden will, wird nicht glücklich werden mit einer Person, für die Glauben, Gott und Kirche nebensächlich sind. Sehr hilfreich für eine feste Beziehung sind auch gemeinsame Hobbys und Freizeitaktivitäten. Denn für die meisten Eheprobleme sind es die kleinen, unwesentlichen Dinge, die immer wieder die Harmonie stören. Einfach gesagt, wer nicht gerne bei jedem Wetter spazieren geht, soll sich lieber keinen Bernhardiner-Hund zulegen.

Über all das Gesagte hinaus muss gelten, dass das feste Fundament für jede Familie (das beginnt schon beim Kennenlernen) Jesus Christus ist. Jesus – unser Gott und Bruder, der bereit ist, das Familien-Alltagswasser in den guten Wein der Freude und des Glücks zu verwandeln. Eheleute, die nicht versuchen, ihr Leben mit Christus zu leben, sind sie dann steinernen Krügen ähnlich, die zwar mit 100 Liter Wasser gefüllt sind, aber weder für sich selbst noch für die Gäste Freude bereiten.

Beim Lesen der Schriften der Kirchenväter bin ich auf einen sehr interessanten Vergleich des hl. Johannes Chrysostomus[3] gestoßen; ein Vergleich, der mir auch heute sehr aktuell zu sein scheint. Er schreibt nämlich: „Auch zu den Zeiten der Apostel waren Männer und Frauen miteinander beisammen, denn die Männer waren eben Männer und die Frauen waren wirklich Frauen. Jetzt aber ist es ganz anders geworden. Das hat die Putzsucht und die Üppigkeit mit sich gebracht.“ Oft wird die Ehe auch mit dem Namen Vertrag bezeichnet, sagt Chrysostomus weiter. Wie oft habe ich schon sagen hören: Der hat mit jener den Heiratsvertrag eingegangen, das soll heißen: er hat sich mit ihr vermählt. […] Ich bitte euch daher, seht nicht auf Geld und Vermögen, sondern auf Sittsamkeit und Bescheidenheit. Fragt nach der Frömmigkeit und Tugend des Mädchens; das wird dich glücklicher machen, als wer weiß wie viele Schätze. Wenn du die Gottesfurcht im Auge hast, wird auch das andere hinzukommen; wenn du sie aber übersiehst und nur auf anderes achtest, wirst du auch das nicht finden. […]“

Tertullian sagt bezüglich der christlichen Ehe folgendes: „Woher soll ich die Kräfte nehmen, um das Glück einer Ehe zu schildern, welche vor der Kirche eingegangen, in der Eucharistiefeier bestätigt, mit dem Segen besiegelt ist, welche die Engel ansagen und der himmlische Vater billigt? […] Welch schönes Zweigespann sind ein Paar Gläubige, die eine Hoffnung, ein Ziel ihrer Wünsche, einerlei Lebensweise und dieselbe Art des Dienstes haben! Sie beide sind Geschwister, Mitarbeiter, es ist kein Unterschied vorhanden, weder an Geist noch an Körper. Sie beten zu gleicher Zeit, sie werfen sich zusammen nieder, sie halten zu gleicher Zeit die Fasten, sie belehren, sie ermahnen, sie tragen sich gegenseitig. Sie finden sich in gleicher Weise in der Kirche Gottes und beim Tische des Herrn ein, sowie sie sich auch in Bedrängnissen, bei Verfolgungen und in guten Tagen in gleicher Weise verhalten. Keins hat vor dem anderen Heimlichkeiten, keins meidet das andere, keins wird dem andern zur Last. Gern besucht man die Kranken und kommt dem Dürftigen zu Hilfe. Die Almosen werden gereicht ohne lange Quälerei, das Opfer gehalten ohne Erregung von Verdruß, die tägliche Beobachtung der Religion ist ungehindert. Die Bekreuzung findet nicht verstohlen statt, die Beglückwünschungen nicht mit Zittern, der Segen wird nicht bloß in Gedanken gesprochen. Aus beider Munde ertönen Psalmen und Hymnen, und sie fordern sich gegenseitig zum Wettstreite heraus, wer wohl am besten dem Herrn lobsingen könne. Dergleichen zu sehen und zu hören ist ein Gegenstand der Freude für Christus. Solchen sendet er seinen Frieden.[4]

Ein Beispiel aus der verfolgten Kirche in der Ukraine (Priesterfrauen sind mit nach Sibirien gegangen). Priesterkinder waren Kulturträger Михайло Вербицький; * 1815 – † 1870, Komponist der ukr. Nationalhymne).

Pause

Wie das II. Vaticanum uns zu verstehen gibt, gehört zum Wesen des Priestertum weder Verheiratet zu sein, noch zölibatär zu leben. Das Priestertum ist zunächst ein Amt/Dienst, bevor es ein Stand ist. Und nicht die Stellung (Topos) meines Lebens rettet mich, sondern die Art und Weise meines Lebens (Tropos). Deshalb sprechen wir von dem Priestertum Christi, das sowohl zölibatär als auch verheiratet ausgeübt werden kann.

Nun möchte ich ein wenig aus eigener Erfahrung eines Priesters und zugleich eines Familienvaters. Ich bin also beides: leiblicher Vater meiner drei Kinder, die ich mit meiner Ehefrau erziehe und ich bin Spiritual, also, geistlicher Begleiter, oder auch Geistlicher Vater für Seminaristen des Collegium Orientale, hier in Eichstätt. Mein ungeteiltes Herz pocht für zweierlei Kinder und ich denke in meinen Gebeten genauso an meine leiblichen wie auch an meine Seminaristen. In dem alltäglichen Familienleben lerne ich Verständnis und Einsicht für meine geistlichen Kinder. Ohne Zwang und unangemessene Zumutung sollen sie lernen,  eigene Entscheidungen zu treffen und in Freiheit zu handeln, denn der Apostel Paulus sagt in Gal 5,13: „Denn ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder und Schwestern. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe!“ Somit sehe ich meinen Dienst als Dienst in der Liebe zu den anderen. Ich verfolge auch niemanden mit lästigen Fragen, auf die  der andere momentan nicht eingehen will, sondern ich gebe jedem und jeder den inneren Freiraum zum eigenständigen Handeln zum Sammeln von Erfahrungen, auch wenn dies vielleicht in der Fremde geschieht. Das Beispiel dafür finde ich in Lk 15, in der Parabel vom barmherzigen Vater. Nachdem der jüngere Sohn seinen Willen geäußert hat, wegzugehen, hat der Vater Verständnis und akzeptiert seine Entscheidung, obwohl es ihm weh tut, seinen Sohn gehen zu lassen. Auf der Basis seiner Erfahrung in der Fremde kehrt der Sohn zurück in sein Vaterhaus und in den Umarmungen des Vaters bekommt er seine Sohnschaft erneut geschenkt. Als geistlicher Vater halte niemanden fest, versuche niemals geistlich zu manipulieren, auch wenn es mir manchmal weh tut, den einen oder anderen gehen zu lassen. Ein Beispiel aus dem Alltag des Familienvaters: Das fünfjährige Kind sieht reife Kirschen am Kirschbaum und  bittet seinen Vater, ihm diese zu pflücken. Der Vater aber, anstatt die Kirschen  selbst zu pflücken und diese dem Kind zu geben, reicht dem Kind ein Werkzeug, damit es selber den Kirschenast zu sich holt und die Kirschen selber pflückt. Hätte der Vater anderes gehandelt, hätte das Kind nie gelernt, selbständiger zu werden. Ähnlich ist es auf der geistlichen Ebene. Wie der Vater das Kind  beim Kirschenpflücken begleitet, so begleitet der geistliche Vater sein geistliches Kind. Die gleiche Logik lässt sich auch z. B. bei den Altvätern erkennen; sie bedienten sich vielerlei Zeichen und Werkzeugen, um auf Wahrheit oder Weisheit hinzuweisen (bei Antonius 13/13 über einen Jäger).

An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass der zweifache „Vaterdienst“, in der Familie als leiblicher Vater und in der Gemeinde als Geistlicher Vater keineswegs einfach ist. Dieser Dienst verlangt vom Vater, neben dem Gebetsleben und der Askese, viel Selbstdisziplin, einen strukturierten Arbeitsalltag, genaue Planung der Termine und schließlich eine dauernde Opferbereitschaft. So muss sichergestellt werden, dass weder Familie noch die geistliche Begleitung zu kurzkommt. Ohne Zweifel ist es immer ein Spagat zwischen all den Aufgaben und Verpflichtungen in der Familie und dergleichen in der Gemeinde, aber Impulse und gesammelte Erfahrungen in den beiden Bereichen bereichern auch den, der sich bereichern will.

Bei einem Elternabend in der Schule meines Sohnes wurde mehrmals betont, die Eltern, vor allem beim Heranwachsen ihrer Kinder, sollten versuchen, für Kinder gute Freunde zu werden, indem man einander akzeptiert, hochschätzt und Freiraum zur Entwicklung gibt. Dieser Gedanken brachte mich zum Nachdenken, denn in geistlicher Vaterschaft handelt es sich mehr oder weniger um das gleiche Prinzip. Der geistliche Vater und sein geistlicher Sohn pflegen eine Freundschaft miteinander, sie gehen einen gemeinsam den Weg, der eine Nachfolge Christi sein sollte. Nicht von ungefähr sagt Christus in Joh 15,12-14 zu seinen Jüngern, „liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“. In dem Auftrag Jesu, andere zu lieben, handelt auch der geistliche Vater in einer liebevollen Zuneigung zu seinem geistlichen Sohn. Die koptische Ikone aus dem 6. Jahrhundert n. Chr., auf der Christus und Abt Mena dargestellt sind, zeigt einige Züge dieser Freundschaft. Christus hat seinen rechten Arm liebevoll um Menas gelegt. Und seine Hand ruht auf dessen Schulter. Die Geste geht von Jesus aus. Eine Geste der Kameradschaft, der Verbundenheit, der Freundschaft. Eine Geste auch, die Kraft spendet, die ermutigt und stärkt. Christus hat also keine Angst vor Berührungen, er nimmt am Leben des Menas teil; er freut sich mit ihm und trauet mit ihm. Ein Gedanke, den wohl auch Papst Franziskus zum Ausdruck bringen wollte mit seiner Aussage, der Hirte müsse nach seinen Schafen riechen.

Abschließend möchte ich Ihnen in aller Kürze von zwei solchen Hirten erzählen, die den Geruch ihrer Schafe angenommen hatten. Beide Priester und beide verheiratet, einer griechisch-katholisch aus der Ukraine, der andere orthodox, in Estland geboren, in Frankreich aufgewachsen und in den USA gelebt und gearbeitet. Das sind Seliger Emilian Kovch (1884-1944), der mit seiner Ehefrau Anna-Maria sechs Kinder hatte, und Alexander Schmemann (1921-1983), der mit Ehefrau Uliana drei Kinder erzog. Für beide Priester waren ihre Familien immer Stützpunkt und Quelle für die neue Kraft. Eine der Töchter von Kovch erzählt von ihrem Vater folgendes: „Er hat uns Kinder sehr geliebt, und überhaupt er liebte alle Kinder und hatte ein großes Herz für sie, besonders für Waisenkinder, die manchmal über längere Zeit bei uns wohnten, bis der Vater für sie ein Heim oder eine Stiftfamilie fand. Wir Kinder wurden diszipliniert erzogen und hatten Respekt vorm Vater. Der Vater setzte nämlich immer Zeichen der Liebe und dank diesen (es geht nicht nur um Feier der Gottesdienste, Beichte oder andere liturgische Angelegenheiten) war er selbst sehr beliebt. Durch Zeichen und Gesten im Alltag wurde Seliger Emilian von seiner Gemeinde als unser Vater bezeichnet und diesem geistlichen „Vatersein“ blieb er treu bis zum Märtyrertod“.

In seinem Tagebuch schreibt Schmemann, dass er mit seiner Ehefrau und drei Kindern sehr glücklich ist. Aber was ist Glück, fragt er sich? Wollte ich und meine Ehefrau dieses offensichtliche Glück umschreiben, wir würde es sicherlich auf verschiedene Weise tun, darum verzichten wir darauf, denn so würde sich der Himmel dieses Glücks bewölken. Glück braucht keine Worte.“[5] Als Priester und Theologe setzte er auch Zeichen und Gesten in seinen Vorlesungen, Vorträgen, Reisen, in seinem ganzen Dienst. Aus seinen Notizen lässt sich erkennen, dass seine Seelsorge das wesentliche Merkmal seines Priestertums war. Mitleid und Sorge für das Heil der Menschen, Verständnis aber auch die Äußerung kritischer Anmerkungen waren seine Merkmale. Manche Gespräche oder Unstimmigkeiten mit den Gläubigen beschäftigten ihn so sehr, dass er noch lange darüber nachdachte, viele hat er auch in seinem Tagebuch aufgezeichnet.

Wie ich schon oben erwähnt habe, gibt es kein Rezept und keine Versicherung wie die Gesundheitskasse AOK für den Erfolg und das Gelingen des geistlichen Lebens in beiden Priesterständen, aber es gibt wohl einiges, was man als Priester oder Diakon machen kann auf dem Weg zur Heiligkeit.

Dieses „wohl einiges“ nenne ich die geistliche Grundsteine, die mir persönlich schon zehn Jahre lang helfen, auf diesem Weg zu bleiben. Diese nämlich bilden das feste Fundament, und stärken das geistliche Immunsystem gegen die „Viren“, wohl auch wissend, dass es nicht auf menschliche Anstrengungen und Bemühungen ankommt, vielmehr aber auf die Gottes Gnade.

    Beziehung zu Gott, zu Mitmenschen / Familie, zu sich selbst

    Gebet (persönlich u. mit der Familie/Gemeinde)

•      Brevier

•      Rosenkranz

•      Jesusgebet

    Herrgottswinkel (geistliche Zelle, Hauskapelle), Ikonen

    Hl. Schrift (lectio divina)

    Hl. Sakramente

Zeichen setzen und selbst Zeichen sein, das bedeutet dies mit eigenem Lebenszeugnis zu bekräftigen mit der Bitte verbunden, im Guten bis zum Ende auszuharren (Mt 24,13).


[1] Johannes Chrysostomus, Hom. 12,5 in Col. (PG 62,387).

[2] Augustinus, In Ioann. Ev. Tr. 26, 6, 13; PL 35, 1613.

[3] Johannes Chrysostomus, Matthäus-Kommentar 73,3-4, in: Texte der Kirchenväter III, München 1964, 573-576.

[4] Tertullian, An seine Frau 9, in: Texte der Kirchenväter III, München 1964, 551f. Tertullian († 220) verfasst zwei Bücher an seine Frau, siehe unter https://bkv.unifr.ch/works/29/compare/41/92778/396

[5] A. Schmemann, Aufzeichnungen 1973-1083, hier s. 31.