
Wenn wir im Supermarkt oder in der Bäckerei Brot kaufen, machen wir uns keine Gedanken darüber, wie dieses Brot zubereitet wurde. Wenn wir im Supermarkt eine Flasche Wein kaufen und diese zu einem feierlichen Anlass öffnen, denken wir auch nicht darüber nach, wie der Wein entstanden ist. Ähnlich verhält es sich, wenn wir eine Flasche Olivenöl kaufen. Die meisten Menschen heutzutage denken wohl kaum darüber nach, welche und wie viel Arbeit in der Herstellung dieser Produkte steckt. Brot, Wein und Öl gehörten auch zurzeit Jesu zur Grundnahrung der Menschen. Diese drei lebenserhaltenden Produkte aus dem Alltag waren auch Jesus sehr wichtig, er aß das Brot, trank den Wein und verwende das Öl sowohl zum Essen, aber auch für andere Zwecke. Die Evangelien sind voller Erzählungen von Brotvermehrung (Mk 6,30-34; 8,1-10; Joh 6,1-15), Weinherstellung (Mk 12,1-12; Joh 15,1-17) oder Salbungen mit Öl (Lk 10,33; Mk 14,3-9; Joh 12,1-8).
In den drei Bildern von Brot, Wein und Öl bzw. in der Art und Weise ihrer Herstellung, können wir deutliche Analogien zu Leben, Wirken, sowie zu Passion und Tod Jesu erkennen.
Als Erstes wenden wir uns dem Brot zu bzw. dessen Entstehungsabläufen, angefangen mit einem Weizenkorn bis zur Bereitstellung auf dem Esstisch. Stellen wir uns Folgendes vor:

Wenn ich zu Ihnen sagen würde, dass dieses grüne Gewächs, das ich gerade in der Hand halte, ein Brot sei und Sie das essen sollten, würden Sie meine Einladung mit Sicherheit ablehnen Sie würden vielleicht sagen, dass nur die Tiere das Gras fressen wollen, aber keineswegs der Mensch. Wenn ich zu ihnen sagen würde, dass diese Weizenkörner Brot seien, und Sie es essen sollten, wären Sie auch nicht bereit dazu mit der Begründung dass die Hühner gerne Weizenkörner picken, ein Mensch aber nicht. Wenn ich Sie aber einladen würde, das gebackene Brot, das duftet und sehr gut schmeckt zu essen, würden Sie sicher meiner Einladung zustimmen.
Doch bevor man vom Brot genießen kann, muss es zunächst zubereitet werden: ein winziges Weizenkorn muss mehrere Wachstums- und Reifungsstadien durchlaufen: Es muss in fruchtbare Erde gesät werden, es braucht viel Sonnenlicht und Wasser sowie passende Wetterbedienungen und es vergehen mehrere Monate bis zur Ernte. Dann muss es gedroschen, gereinigt, gemahlen und gebacken werden. Es ist sehr viel Arbeit, Fleiß, und menschliche Mühe erforderlich, bevor ein Stück Brot auf den Tisch kommt. Das Brot, das wir im Supermarkt oder in der Bäckerei kaufen, ist wichtig für die Erhaltung unseres Daseins auf dieser Erde.
Das Brot, um das wir auch täglich im „Vaterunser-Gebet“ bitten, weist schließlich auf DEN hin, der uns versichert, dass er selbst das Brot des Lebens ist (vgl. Joh 6,35): Jesus Christus: das gedroschene, gemahlene und gebackene Brot, das in der Eucharistie auf dem Altar dargebracht, geopfert und gewandelt werden muss, um anderen zu schmecken, um mit anderen in Gemeinschaft zu sein, um den anderen das Leben zu ermöglichen. „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben (Joh 6,51).
Warum sagt Jesus, dass er das Brot ist? Sah er im Prozess der Brotzubereitung Parallelen zum seinen eigenen Leben und zu seinem Auftrag? Was will er uns damit sagen? Einer, der im ländlichen Gebiet groß geworden ist und mit damaligen landwirtschaftlichen Abläufen vertraut war, hat bestimmt den ganzen Entstehungsprozess beobachten können und für sich darin einen tiefen Sinn erkannt. Er ist das Weizenkorn: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ (Joh 12,24 ). Doch bevor dieses in die Erde geworfene Weizenkorn den Halm mit Ähren bekommt, wird es oft nur für ein grünes Gras gehalten, ohne dass man erahnen könnte, was sich darin verbirgt. Auch Jesus wurde von seinen Angehörigen nicht erstgenommen, die ihn mit Gewalt nach Hause bringen wollten und gesagt hatten, er sei von Sinnen (Mk 3,21). Von Pharisäern und Schriftgelehrten wurde er ausgelacht, als ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder bezeichnet! (vgl. Lk 7,31-34; Mt 11,16-19). Er, der das geknickte Schilfrohr nicht abbrechen wird, wie es bei Jesaja heißt (42,3) wird von anderen ähnlich wie ein Grashalm mit Füßen zertreten und missachtet. Doch damit nicht genug, der Prozess der Brotzubereitung geht weiter: Wenn die Erntezeit kommt, müssen die Ähren gesammelt und gedroschen, gereinigt, gesiebt und zu Mehl gemahlen werden und schließlich im Backofen gebacken werden. Durch all die Arbeitsvorgänge, in denen dem Weizenkorn Gewalt angetan wird, entsteht das kostbarste, ja es entsteht ein Mittel zum Leben. Das Weizenkorn muss seine Leidensgeschichte durchlaufen, das ist der einzige Weg, um zu Brot zu werden, zu Brot, von dem sich andere sättigen und neue Kraft bekommen können. In Analogie zu diesem Bild vom Weizenkorn geht auch Jesus seinen Weg: ER, der Weizen in Person und das wahre Brot: er geht den Weg des Leidens, Ihm, dem Unschuldigen wird Gewalt angetan, er wird verspottet, gegeißelt und gekreuzigt. Er geht diesen Weg allein aus Liebe zu uns. Er will Dir und mir das Leben in Fülle schenken. Er will für Dich und mich das Brot sein, mit dem wir uns jeden Tag sättigen können.

Jedes Mal, wenn wir die Eucharistie feiern, erfüllen wir seinen Auftrag, in dem wir das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit auf den Altar bringen, damit es uns zum Heil gereiche. Wir bringen auch den Wein, der ebenfalls zahlreiche Arbeitsvorgänge durchlaufen muss, um aus der Traube zum Wein zu werden. Ich bin das Brot – sagt Jesus wie damals auch heute. Was will er damit sagen? Ich denke, dass wir uns dieses starke Bild immer vor Augen halten müssen, wenn wir zum Beispiel das Essen einnehmen. Jesus lädt Dich und mich ein in seine Nachfolge. Sehr oft gibt es Situationen im Leben, in denen wir meinen, das , was gerade geschieht sei unwichtig, es sei sehr klein wie ein Weizenkorn, es sei lächerlich…Situationen, in denen wir dennoch Gefahr laufen Mut und Hoffnung zu verlieren: alles, was man tut, scheint sinnlos zu sein. Manchmal sprosst dann jedoch das Weizenkorn unserer Begabung und unseres Fleißes zu einer grünen Pflanze, an der wir uns erfreuen können und sogar denken, wie großartig und gut wir sind. Doch wenn wir in dieser Phase nur verweilen und uns nur an der schönen grünen Farbe erfreuen, werden wir nicht satt. Der Reifungsprozess geht immer weiter, in Lebenskrisen reifend und in der Hitze zwischenmenschlicher Beziehungen gebacken. In Geduld und Ausdauer, Treue und Liebe werden wir Jesus ähnlich, dem wahren Weizen und dem wahren Brot.
„Lasst mich eine Speise der wilden Tiere werden; durch sie ist es mir möglich, zu Gott zu kommen. Brotkorn Gottes bin ich, und durch die Zähne der Tiere werde ich gemahlen, damit ich als reines Brot Christi erfunden werde. Lieber schmeichelt den Tieren, damit sie mir zum Grabe werden und nichts von meinem Körper übriglassen, auf dass ich niemand lästig falle, wenn ich entschlafen bin. Dann werde ich wahrhaft Jesu Christi Jünger sein, wenn die Welt auch meinen Leib nicht mehr sieht. Betet für mich zu Christus, auf dass ich durch diese Werkzeuge als Opfer für Gott erfunden werde.“[1] Mit diesen Worten identifiziert sich der hl. Ignatius (†117) kurz vor seinem Martyrium in Rom mit dem Korn, das gemahlen werden muss, um so um Brotkorn Gottes zu werden. Im Bild vom Brot sah er Jesus selbst sowie auch sein Leben in der Nachahmung Christi.
Die Sehnsucht des heiligen Ignatius, Brotkorn Gottes zu werden, soll auch die Christen von heute und vor allem Diakone und Priester inspirieren, nicht etwa den Märtyrertod zu sterben, sondern ihrer hohen Berufung treuzubleiben, nicht als Funktionäre und Dienstleister, sondern als diejenigen, die authentisch und aufrichtig ihr Christsein und Diakonsein und Priestersein leben und in schwierigen Zeiten, das Zeugnis ablegen können für Jesus Christus, das lebendige Brot, das in der Liturgie geopfert wird.
Nicht nur Brot und Wein sind von großer Bedeutung, in denen man einen tiefen Sinn erkennen kann, sondern auch das Bild und das Wissen von Öl, das von den Olivenbäumen gewonnen wird.
Im Herstellungsprozess von Olivenöl verbirgt sich eine tiefe Symbolik – eine Brücke zu den letzten Tagen Jesu auf Erden. Nachdem die Oliven geerntet wurden, müssen sie dreimal gepresst werden, bis das wertvolle Öl schließlich in die Flasche gefüllt werden kann. Der Ort, an dem Jesus gebetet hat – Getsemani (hebräisch Gat-Schmanim) – bedeutet auf Aramäisch „Ölpresse“. Kein Wunder also, dass dieser Ort auch als Ölberg bekannt ist.
Bei der ersten Pressung werden die Oliven zerquetscht. Das daraus gewonnene Öl wurde im Tempel für die Lampen verwendet. Hier eröffnet sich eine symbolische Bedeutung: Jesus Christus ist für uns das Licht geworden – er selbst sagt: „Ich bin das Licht der Welt.“ Die zweite Pressung liefert Öl, das für medizinische Zwecke verwendet wurde. Auch hier finden wir ein Bild für Jesus: Er ist der Arzt für unsere Krankheiten – sowohl die seelischen als auch die körperlichen, er ist der Heiland der Welt Und schließlich entsteht bei der dritten Pressung das Öl für die Salbung. Übertragen wir den Prozess der Ölherstellung auf das Leben Jesu, so erkennen wir: Im Garten Getsemani betet Jesus zum Vater – in Todesangst vor dem bevorstehenden Kreuzesopfer. Sein Schweiß wird zu Blut – das ist die erste Pressung. Diese Nacht des Gebets ist eine Einladung an uns, im Gebet nachzuvollziehen, was Jesus als Mensch durchlitten hat. Die zweite Pressung ist die Geißelung. Jesus wird verletzt – und doch heißt es beim Propheten Jesaja: „Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Die dritte Pressung, das Öl für die Salbung, vollendet sich am Kreuz. Jesus wird zum Salböl, zum wohlriechenden Parfum, zum glücklichen Bräutigam, der für das Begräbnis gesalbt wird. Im babylonischen Judentum wurden zu Hochzeiten Rabbiner eingeladen. Auch Jesus wird „Rabbi“ genannt – er ist der göttliche Bräutigam, der mit seinen Jüngern das Paschamahl, das Hochzeitsmahl, feiert. Er ist der Bräutigam, der am Kreuz stirbt und aufersteht, zum Vater geht, um uns eine Wohnung zu bereiten, damit auch wir eines Tages bei ihm sein können. Amen.
[1] Ignatius von Antiochien, Brief an die Römer 4, siehe unter https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-1025/versions/die-sieben-briefe-des-ignatius-von-antiochien-bkv/divisions/58