Alles fließt (panta rhei), ist ein Ausdruck und eine Erfahrung der griechischen Philosophen. Alles bewegt sich fort und vergeht. Kaum hat das Sommersemester begonnen, als man mit den Gedanken vielleicht schon bei den Prüfungen ist: Ihr Sprachkursstudenten, ihr denkt schon jetzt an die bevorstehende Prüfung am 8. Juli und macht euch Sorgen deswegen; Ihr Magisterstudenten, ihr zählt schon jetzt alle Hausarbeiten und alle Prüfungen zusammen und hofft auf gute Ergebnisse und Erfolg. Nicht anderes ist es bei Euch, ihr Doktoranden und Lizentiaten, indem ihr jeden Tag versucht ein paar Zeilen zu schreiben, um so in den vorgesehenen Fristen das Studium erfolgreich abzuschießen. Mit all den Aufgaben und Pflichten fühlt man sich oft wie in einem Hamsterlaufrad. Je schneller der Hamster im Laufrad läuft, desto schneller dreht sich das Rad bis entweder das Rad kaputt geht oder der Hamster müde und erschöpft zu laufen aufhört. So ähnlich kann es auch uns ergehen: Wir aber sind Menschen und keine Tiere. Deshalb ist es wichtig zu Beginn dieses Sommersemesters genau zu schauen und sich zu fragen in Hinblick auf unser Dasein, in Hinblick auf unsere Berufung: Welches Ziel habe ich? Wer oder was gibt mir meine Motivation und die Kraft mich auf mein Ziel hin zu bewegen?
Um im Bilde vom Hamsterrad zu bleiben: Für einen Hamster gibt es im Wesentlichen drei Gründe, die ihn motivieren, sich zu bewegen: der Hunger, die Angst vor Feinden und der Trieb zur Fortpflanzung. Wenn aber ein Mensch nur von solchen Motiven angetrieben wird, unterscheidet er sich in Nichts von den Tieren. Ein wesenhaftes Merkmal des Menschseins ist die Tatsache, dass er lieben und geliebt werden kann und will. Die Liebe ist also , was auch uns, liebe Kollegiaten, die Kraft und die Motivation gibt. Die Liebe hat etwas mit der Weisheit zu tun, wie es im Buch der Weisheit zum Ausdruck kommt (Weish 7,22-30).
Schöneres kann über die Weisheit kaum gesagt werden, als dass diese Weisheit Christus selbst ist, das Bild der Güte Gottes. In ihr nimmt Liebe Gestalt an. Nach dieser verlangen die Menschen, nach dieser verlangen auch wir. Laut Google gehörte die Frage „Was ist Liebe?“ zu den zehn meist eingegebenen Was-Fragen des Jahres 2015 in Deutschland. Viele Menschen sind auf der Suche nach Liebe, welcher Art auch immer. Das Christentum gibt auf diese Frage eine eindeutige Antwort. ,,Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm’’ (1 Joh 4,16). In diesen Worten aus dem Ersten Johannesbrief, wie von Papst Benedikt XVI. in der ersten Enzyklika beschrieben, „ist die Mitte des christlichen Glaubens, das christliche Gottesbild und auch das daraus folgende Bild des Menschen und seines Weges in einzigartiger Klarheit ausgesprochen.“[1] Wir haben die Liebe erkannt, die Gott zu uns hat, und ihr geglaubt. (vgl.1 Joh 4, 16). Am Anfang des Christseins steht also nicht ein ethischer Entschluß oder eine große Idee, sondern ein Ereignis, die Begegnung mit, einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt. In seinem Evangelium hatte Johannes dieses Ereignis mit den folgenden Worten ausgedrückt:,, So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt […] das ewige Leben hat’’ (Joh 3,16). Mit der Zentralität der Liebe hat der christliche Glaube aufgenommen, was innere Mitte von Israels Glauben war, und dieser Mitte zugleich eine neue Tiefe und Weite gegeben. (Ebd.)
Nicht zufällig möchte ich Sie anfangs des Semesters einladen, sich darüber Gedanken zu machen, was ist Liebe? Sehne ich mich nach Liebe? Nach Liebe zu Gott, nach Bleibe bei ihm? Nach Liebe zum Nächsten und zu mir selbst? Denn nur wer sich selbst liebt, kann auch Gott lieben. Wer mit sich unzufrieden ist, wer sich nicht „riechen“ kann. Ich lade Sie ein, über „die erste Liebe“ (vgl. Offb 2,4) nachzudenken, als Sie den Ruf Gottes vernommen haben und ins Priesterseminar eingetreten sind. Ohne Liebe wärest Du nur ein dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke (1 Kor 13, 1). Ein Gerät, das viel Lärm verursacht, aber weder sich selbst noch die anderen füllen kann.
„Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig, sie neidet nicht, die Liebe tut nicht groß, sie bläht sich nicht auf, sie benimmt sich nicht unanständig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet Böses nicht zu sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit; sondern sie freut sich mit der Wahrheit, sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles. Die Liebe vergeht niemals“ (1 Kor 13,4-8). Das ist die Erfahrung, die der hl. Apostel Paulus machte, und an der er uns teilhaben lässt, wenn er auch in seinem letzten Brief an die Römer Folgendes schreibt: „Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Röm 8,38f.)
„Denn Paulus liebte Christus nicht wegen der von ihm zu erwartenden Gaben: er liebte diese wegen Christus, und nur eines schwebte ihm als etwas Entsetzliches vor Augen, nur eines fürchtete er: dass er Christi Liebe verlieren könnte. […] Gott verfährt in seiner Liebe und seinem Langmut mit uns wie ein Vater, der sein Kind liebhat, mit diesem, wenn es des fortwährenden Umganges mit ihm müde geworden ist: er wendet einen andern Kunstgriff an. Nachdem wir nicht jene Liebe gegen ihn haben, wie sie ihm gebührt, legt er uns eine Menge anderer Dinge vor, um uns an sich zu fesseln. Und dennoch harren wir nicht bei ihm aus, sondern springen zurück zu unseren Kinderspielen. Nicht so der heilige Paulus. Wie ein braver, edler und liebevoller Sohn sucht er einzig und allein das Beisammensein mit seinem Vater und setzt dem alles andere nach. Eigentlich, er tut noch mehr als ein solcher Sohn. Er schätzt den Vater nicht nur so hoch wie das, was er von ihm hat; sondern wenn für ihn sein Vater in Betracht kommt, achtet er das letztere für nichts und möchte lieber in Qual und Not an seiner Seite leben, als getrennt von ihm ein gemächliches Leben führen.“ (Joh. Chrys. Kommentar zum Römerbrief 16,5). Amen.
[1] Deus caritas est 1.