Bei meinem letzten Impuls habe ich angedeutet, dass es noch weitere Steine in der Lebensgeschichte Jakobs zu finden gibt, auf die wir heute Abend eingehen wollen. Warum bleibe ich bei diesem Thema? – könnte sich vielleicht der eine oder andere fragen. Das Alte Testament, das Buch Genesis und die Erzählung von Jakob: Haben diese „Steine“ und die Ausführungen des Spirituals etwas Gemeinsames mit unserer Realität? Meiner Meinung nach, liebe Kollegiaten, kann man viel daraus lernen, um gerüstet zu sein für das künftige Leben als verheirateter Priester, Ehemann und Familienvater. Und für diejenigen, die sich entschieden haben oder sich entscheiden wollen, ehelos zu leben, bietet es eine Bestätigung ihrer richtigen Lebensentscheidung.
Denn wie uns der heilige Apostel Paulus im ersten Korintherbrief sagt: „Im Übrigen soll jeder so leben, wie der Herr es ihm zugemessen hat, wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Das ist [paulinische] Weisung für alle Gemeinden“ (1 Kor 7,17). Des Weiteren sagt Paulus: „Ich wünschte aber, ihr wäret ohne Sorgen. Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn; er will dem Herrn gefallen. Der Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt; er will seiner Frau gefallen. So ist er geteilt. Die unverheiratete Frau aber und die Jungfrau sorgen sich um die Sache des Herrn, um heilig zu sein an Leib und Geist. Die Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt; sie will ihrem Mann gefallen. Dies sage ich zu eurem Nutzen: nicht um euch eine Fessel anzulegen, vielmehr, damit ihr euch in rechter Weise und ungestört immer an den Herrn haltet.“ (1 Kor 7,32-35)
Der Apostel spricht also von Sorgen, von Herausforderungen der Welt und von der nötigen Sympathie der Verheirateten zu ihrem Gegenüber: all das hat auch Jakob durchlebt. In Bethel schließt der Herr mit ihm einen Bund; davor aber stellt Jakob einen Stein auf als Zeichen der Bundschließung, des Beziehungsaufbaus, ja der Versöhnung eines Betrügers mit Jahwe. So entsteht eine vertikale Gemeinschaft mit Gott, und es werden noch zwanzig Jahre vergehen, bis Jakob einen Bund mit seinen Verwandten schließt und so eine horizontale Gemeinschaft herstellt, vor allem mit seinem Bruder Esau, mit Laban, dem Vater seiner Frauen, und dessen Verwandten. Engel Gottes, die Jakob in Bethel auf der Himmelsleiter nieder- und aufsteigen sah, werden ihm noch einmal erscheinen (Gen 32,2), und zwar kurz vor dem nächtlichen Kampf mit Gott und der Änderung seines Namens. Engel Gottes oder nur ein Engel (Gen 31,11) begleiten Jakob stets, bevor er etwas Neues anfängt oder eine Entscheidung trifft. In all den Jahren ist Jakob seinen Entscheidungen treu geblieben, und er hat seine Liebe wachsen lassen, wodurch er selbst reifer und erfahrener wurde, bis er den letzten Stein in seiner Beziehung zu Rahel legt.
Liebe Kollegiaten! In zwischenmenschlichen Beziehungen gibt es , immer wieder Stolpersteine, und auch die Ehe ist keine Ausnahme. Wenn die Liebe nur an Äußerlichkeiten hängen bleibt, wird sie keinen Bestand haben können; die Liebe muss wachsen und reifen, auch durch Krisen und Stolpersteine. Die Lebensgeschichte Jakobs lässt uns also ein wenig eintauchen in das Denken der Menschen damals, welches sich im Vergleich zu heute kaum geändert hat. Die Eifersucht Rahels gegenüber Lea, da diese Kinder zur Welt brachte und somit in den Augen der ersten besser dastand und daraus Vorteile ziehen konnte, bestimmt den ersten Konflikt in der Beziehung zwischen Jakob und Rahel: „Verschaff mir Söhne!“ – sagt Rahel zu ihm, „sonst sterbe ich.“ Für Rahel war ihr Muttersein existenzwichtig: es ging um ihr Glück, ihr Leben und ihre Zukunft. Sie verlangt von Jakob, ihr Söhne zu verschaffen, doch der weiß, dass nur Gott sie mit Kindern segnen kann. Später, als Gott sich an Rahel erinnert und sie erhört, ist Rahel ihm sehr dankbar, denn die Schande der Kinderlosigkeit wird von ihr genommen (Gen 30,23). Bildhaft könnte man diesen Beziehungsriss als Stolperstein bezeichnen, und wir sehen, dass für zwei sich liebende Menschen die Kinder wichtig sind. Sie bringen die Eltern und deren Beziehung sowie ihr Liebesverständnis auf ein anderes Niveau, setzen andere Prioritäten in der Familie, verbinden die Eltern in ihrem Glück, aber auch in ihrer Sorge und oft in ihrer Not.
In der Fremde erfährt Jakob alle Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens. Er wird zornig, da ihm Rahel, die er mehr als Lea liebte, Vorwürfe macht. Er erträgt Konkurrenz, Zwiespalt, Neid, familiäre Intrigen, List und Betrug seines Schwiegervaters Laban. Er wird geschmäht und von seinen Schwagern als Schmarotzer betrachtet (Gen 31,1), doch er gibt nicht auf und ist sogar gezwungen, Laban mit List zu umgehen, um so zu seinem Lohn und Viehbestand zu kommen. Als ihm jedoch Jahwe aufträgt, zurückzukehren (Gen 31,3), ruft er seine zwei Frauen und macht sich auf den Weg.
Des Weiteren vergleicht Jakob Laban und dessen Verhalten ihm gegenüber mit dem Gott seines Vaters, der immer mit ihm war und ihm treu blieb (Gen 31,4-8). Vor allem erinnert Gott Jakob an den Ausgangspunkt, an den ersten Stein, den Jakob in Bethel gesalbt hatte und an den Bund mit Jahwe (Gen 31,13). Obwohl Jakob zu seinem Gott Jahwe steht und ihm vertraut, stiehlt seine Frau Rahel aus unbekannten Motiven die Hausgötter ihres Vaters Laban und spielt somit ein gefährliches Spiel, das sie frühzeitig das Leben kosten könnte. In Gen 35,2 fordert Jakob jedoch alle, die mit ihm gehen, auf, die fremden Götter wegzuschaffen und sich zu reinigen, bevor sie zum gesalbten Stein in Bethel kommen. Jakob vergräbt all die Götter, die seine Leute mit sich tragen, einschließlich der Hausgötter von Rahel.
Aus dem oben Beschriebenen erkennen wir, dass es in zwischenmenschlichen Beziehungen viele Ecken und Kanten gibt. Das Leben selbst, wie P. Michael Prohazka (†28.07.2023) einmal sagte, ist kein Ponyhof, in dem man nur Ponys streicheln, sondern auch kräftig arbeiten und vieles erdulden und ertragen muss. Das zeigt auch die der Geschichte Jakobs. Viele Steine sind in der Beziehung zu anderen geworfen und verstreut worden, doch diese müssen jetzt gesammelt werden.
Im Gebirge von Gilead, in einer steinigen Gegend, schließt Jakob endlich einen Bund der Versöhnung mit Laban. Er wagt als erster den Versöhnungsschritt, indem er einen Stein aufstellt. So wie Jakob sollen alle ihre Schuldsteine bringen und als Zeichen setzen: „Da nahm Jakob einen Stein und richtete ihn als Steinmal auf. Jakob sagte zu seinen Brüdern: Tragt Steine zusammen! Da holten sie Steine und legten einen Steinhügel an. Dort auf dem Steinhügel aßen sie.“ (Gen 31,45-46).
Schließlich ergreift Jakob wieder die Initiative, bringt auf demselben Berg ein Schlachtopfer dar und lädt seine Brüder ein, das Freudenmahl der Versöhnung und des Bundes zu halten. Zum Abschied von seinem ehemaligen Konkurrenten Laban bekommt er noch den Segen; er kehrt zurück, nicht als Geflüchteter oder Betrogener, sondern als Gesegneter. Er übersteht auch den Kampf mit Gott, erhält einen neuen Namen und stellt als Gesegneter und Versöhnter den letzten Stein auf in seiner Beziehung zu Rahel an der Straße von Efrata, das jetzt Betlehem heißt. Dieser letzte Stein, der Stein der Trauer über Rahels Tod an ihrem Grab in der Nähe von Betlehem erinnert uns an Jesus, der in Bethlehem geboren wurde; es erinnert uns an Jesu Worte in Mt 21,42, an einen Stein, den die Bauleute verworfen haben, der aber als Schlussstein das ganze Gebäude hält und ihm die Spannkraft verleiht. Dieser Stein ist Christus, das Fundament der christlichen Familie und die feste Basis der Eheleute und ihrer Beziehungen, ihrer Treue und ihrer Liebe vor und nach der Hochzeit. Amen.
Fragen zum Nachdenken:
- Bin ich bereit in verschiedenen Lebenssituationen wie Jakob zu handeln?
- Finde ich Zeit, meine Beziehungen zu Gott, zu meinen Nächsten und zu mir selbst zu prüfen?